Viele Eltern sehen „Druck“ beim Lernen als große Gefahr für den Erfolg und das seelische Wohlbefinden ihres Kindes. Über den „Druck“ gibt es viele Irrtümer, mit denen wir heute aufräumen möchten. Oft hört man die Aussage „Wir wollen keinen Druck machen“ oder „Mein Kind steht zu sehr unter Druck“. Leider wird im Alltag dieses angstbesetzte Konzept von „Druck“ voreilig als Erklärung für schlechte Noten oder Abneigung gegenüber dem Lernen herangezogen. Denn fatalerweise schaden Eltern ihren Kindern manchmal gerade dadurch, dass sie falsch verstandenen Druck zu vermeiden versuchen. Tatsächlich verringern effiziente Methoden und adäquates Üben das Gefühl, unter Druck zu stehen, denn dieses Gefühl entsteht primär durch einen Mangel an Routine. Im Fußballtraining wird Leistungsdruck selbstverständlich akzeptiert, in anderen Lernbereichen hingegen sind Eltern sehr nachhaltig in diesem Punkt verunsichert.

Vielleicht ist die deutsche Abneigung gegen „Druck“ – wie so viele andere pädagogische Vorurteile – in den 70er Jahren entstanden, als eine Verachtung der Naturwissenschaften die Bildungspolitik zu prägen begann. Naturwissenschaftlich gesicherte Fakten haben im Zeitalter von St. Greta und Kompetenzorientierung einen schweren Stand. Berechnete Ergebnisse werden weniger ernst genommen als befürchtete Ereignisse. Selbst physikalisch gebildete Kanzlerinnen lassen klare Berechnungen außer Acht und folgen in der Klimapolitik lieber laut vorgebrachten Befürchtungen als weniger bedrohlichen, nüchternen Daten.
Vielleicht ist auch eines meiner Lieblingslieder mit schuld an der elterlichen Angst vor dem Druck, nämlich Queens „Under pressure“, das in der deutschen Übersetzung bereits den Übergang von „Unter Druck“ zu „Unterdrückung“ nahelegt. Zeitlich passt die Einordnung zum vorgenannten Punkt: 1982, als David Bowie mit Queen „Under Pressure“ schrieb, beeinflussten Forderungen nach mehr freier Entfaltung des Kindes die Pädagogik stark. Auch im Unterricht sollten sich Kinder plötzlich primär selbst verwirklichen. Man begann einerseits, das Individuum und seine vermeintlich unhinterfragbaren Gefühle in den Mittelpunkt zu stellen. Gefühle wie Angst (Angst vor Mathe, Angst vor der Schule, Angst vor dem Klimawandel) werden seitdem wie Tatsachen, wie unveränderliche Gegebenheiten behandelt, die man keinesfalls hinterfragen darf, egal wie irrational sie sind. Andererseits gibt es nach wie vor einen starken Einfluss der marxistischen Behauptung, vorhandene Strukturen (wie eben physikalische und mathematische Gesetze oder Grammatikregeln) seien nur Herrschaftsinstrumente der Mächtigen, gegen die man revoltieren darf und muss. Seit in den späten 90er Jahren diese Auffassungen durch Lehrpläne und Schulbücher den schulischen Alltag erreicht haben, gehen die Bildungsleistungen in Deutschland zurück – während der subjektiv empfundene „Druck“ dauernd steigt.

Kurz: Der gefürchtete Druck hat drei Elemente. Eltern haben heute Angst, ihre Kinder durch

– ein bestimmtes Arbeitspensum

– zeitlich straffe Methoden (im Gegensatz zu „frei“, ungesteuert entdeckenden)

– und evt. durch bestimmte Erwartungen an Noten und Schulabschlüsse

zu unterdrücken.

Dabei gibt es meiner Erfahrung nach zwei ideologische Geschmacksrichtungen, die aus verschiedenen Gründen vom bösen Druck in der Schule sprechen.

Druck sei es, wenn man Lerninhalte nicht frei wählen kann…

Die eine Gruppe lehnt alle drei genannten Aspekte ab: Arbeitspensum, Methode und Erwartungen an den Schulabschluss. Zu ihr gehören häufig Eltern mit einer Mischung aus echtem akademischen Bildungshintergrund und angelesenem Halbwissen über Lernen. Sie verteufelt verpflichtende Lernmengen pro Tag, Woche oder Schuljahr. Sie lehnt vorgegebene methodische Lernwege ab, selbst wenn es sich nur um ein Rechenverfahren wie das schriftliche Multiplizieren handeln mag. Ihre Kinder sollen „frei entdeckend“ lernen und sich das Rechnen und Lesen lieber selbst auf langwierigen Umwegen beibringen, anstatt von der jahrtausendealten Erfahrung rechnender und lesender Menschen vor ihnen zu profitieren. Auch vorgegebene Lerninhalte werden, zumindest in der Theorie, abgelehnt, nach dem Motto „Alles kann ein Lerninhalt sein“. Gerne listen sie daher auf, was das Kind beim Spielen am Bach alles gelernt hat (Fische zählen, Wasserdruck erleben, Temperaturunterschiede fühlen…) und betonen anschließend, wie organisch dies dann zum ehrlichen Wunsch des Kindes führe, anschließend tatsächlich etwas über den Körperbau des Fisches oder die physikalische Berechnung der Fließgeschwindigkeit zu lernen.

Die extremeren Vertreter dieser Überzeugung findet man in der „Schulfrei“-Bewegung. Ihnen ist häufig auch ein Schulabschluss des Kindes nicht weiter wichtig, da er lediglich ein Statussymbol darstelle. Er wird höchstens zähneknirschend als Tribut an das System akzeptiert.

In abgemilderter Form vertreten Eltern und Lehrkräfte diese Überzeugung, wenn sie…

  • sich grundsätzlich gegen Benotung aussprechen,
  • jeden Fehler ihres Kindes als originellen Ausdruck von Persönlichkeit betrachten
  • und wenn sie glauben, Arbeit im Sinne von „nicht frei gewählter Tätigkeit, bei der man sein Bestes gibt und sich einem weisungsbefugten Vorgesetzten unterordnet, der mehr weiß als man selbst“ dürfe man von Kindern nicht erwarten.

Dennoch ist dieser Gruppe Bildung, wie sie selbst sie auffassen, sehr wichtig. Sie ist nur der Meinung, Druck verhindere eine solche Bildung. Man glaubt, nur durch Vermeidung von Druck könnte der wahre beglückende Bildungsweg frei werden. Eltern, die heute so denken, sind Opfer angeblicher Pädagogen und vereinfachender Welterklärer aus Psychologie und alternativem Schulwesen, die die Mär vom anstrengungsfreien Lernerfolg erfunden haben. Das sind „Fachleute“ fürs Lernen, die ihrem eigenen Fach nichts zutrauen, weil sie es selbst unzureichend beherrschen. Sie empfinden den technischen Fortschritt in einer immer komplexeren Welt als bedrohlich und wissen nicht, mit wieviel altmodischer Bildung er dort, wo er passiert, einhergeht. Stattdessen bieten sie gefällige Simplifizierungen: Kein Druck, alle lernen mühelos und grenzenlos in der Inklusion; es gibt keine Diskriminierung mehr aber Chancengleichheit für alle…

In Wirklichkeit müssen wir keine Angst vor komplexen Zusammenhängen haben. Es gibt genug Rüstzeug, um sie zu bewältigen. Wenn man sich dieser Aufgabe verweigert, verschiebt man letztlich nur den Druck: Der wahrgenommene schulische Druck wird verteufelt, aber der Druck, der durch Zukunftsängste entsteht („Ich will, dass Ihr alle in Panik geratet…“) wird idealisiert.

…aber Bildungswege klug vorzugeben ist kein Druck, sondern eine sinnvolle Abkürzung

Der hauptsächliche Irrtum über „Druck“ in dieser Gruppe ist folgender: Bildungsinhalte auszuwählen, die es wert sind, gelernt zu werden, ist keine Unterdrückung. Von der zunehmenden political correctness der Bildungslandschaft einmal abgesehen, wurden die Lehrpläne im Großen und Ganzen nicht von „den Mächtigen“ zum Erhalt ihrer Herrschaft ersonnen. Und die wenigen Bildungsinhalte, die heutzutage tatsächlich aus politischen Gründen verzerrt und nicht wirklich frei und sachbezogen gelehrt werden (z.B. durchgehend negative Darstellung von Unternehmertum in Schulbüchern und Gender-Ideologie), wurden durch genau diese marxistisch-holistisch orientierte Gruppe so verzerrt und gerade nicht durch bildungskonservative Fachleute.

Entdeckendes Lernen ist eine schöne Sache, aber es ist nur ein Aspekt von Bildung. Wer wirklich gebildet sein möchte, sollte die Demut haben, seine eigenen Beschränkungen anzuerkennen. Wir sind zeitlich beschränkt – wir können nicht die wertvollen Entdeckungen der letzten 4000 Jahre Menschheitsgeschichte nachvollziehen, indem wir jeden Umweg mitlaufen, den die einzelnen Denker gegangen sind. Wir dürfen dankbar sein, Ergebnisse fertig vorgesetzt zu bekommen und nicht ständig das Rad neu erfinden zu müssen. Wir sind beschränkt in unserer Intelligenz und unserem Erfindungsreichtum – wir werden nicht selbst die gleichen Entdeckungen machen wie Newton oder Kant, und selbst wenn, werden wir sicher nicht Newton, Kolumbus, William Stern, Marie Curie, Beethoven und Julia Child in einer einzigen Person vereinen können. Wenn wir ganz viel Glück haben, gelingen uns ein paar gute eigene Leistungen auf Basis dessen, was wir uns vom Wissen dieser Leute aneignen können – aber um das im Rahmen unserer Lebenszeit zu tun, braucht es so etwas wie effizientes Lesenlernen, das auswendig beherrschte Einmaleins, international einheitliche Rechenwege und fehlerlose chemische Formeln.

Druck sei es, wenn man sich für gute Noten anstrengen muss…

Eine weitere sehr große Gruppe von Eltern lehnt von den o.g. drei Druck-Elementen nur zwei ab, nämlich Arbeitspensum und Methodik. Das dritte Element, von dem man Druck befürchten kann, nämlich den Schulabschluss, befürworten sie in der Regel. Das sind Eltern, deren Kind unbedingt aufs Gymnasium muss, und sei es mit Down-Syndrom – aber es soll dabei bitteschön weder Unlust erdulden, noch fleißig arbeiten müssen oder gar den Makel schlechter Noten ertragen. Kurz, man möchte ein Abitur für alle, da man aus der eigenen Lebenswelt den Zusammenhang zwischen Doppelgarage und hohem Bildungsabschluss kennt. Diese Elterngeneration blendet aus ihrer Erinnerung aus, mit welcher Selbstverständlichkeit sie noch zu einer gewissen Leistungsbereichtschaft erzogen wurde – und dass ihr das nicht geschadet hat. Das sind die Eltern, die in den 80er und 90er Jahren eine weiterführende Schule besucht haben. Sie sind mittels eigener Bildung und Finanzkraft nicht selten in der Lage, via Elternbeirat, Anwalt und Politik entsprechende Forderungen nach „weniger Druck“ erfolgreich an die Schulen heranzutragen. Weil die Politik dieser Gruppe gefallen wollte, wurde immer mehr Gymnasiasten ein bestandenes Abitur ermöglicht, indem man die Ansprüche an die dafür nötige Leistung stetig gesenkt hat. Die Generation der „Millenials“ ist die erste, die in dem Glauben erzogen wurde, man könnte auch ohne „Druck“, also ohne ein verpflichtendes Arbeitspensum und effiziente Methodik, zum gleichen Ergebnis gelangen wie die eigenen Eltern. Auf den ersten Blick haben sie Recht, sie haben ja ihr Abitur in der Tasche. Aber weil es für eine geringere Leistung steht, weil es eine Inflation der Bildung gibt, überschätzt diese Generation ihre Kompetenzen, und aus der Selbstüberschätzung verhätschelter Menschen ist noch selten etwas Gutes entstanden. Lieber ehrlich ein sehr guter Hauptschüler als ein unverdienter Abiturient – damit ist am Ende auch der Schüler glücklicher.

…aber ohne Fleiß kein Preis

Wenn Eltern für ihre Kinder hohe Schulabschlüsse anstreben, aber Angst vor der damit verbundenen Arbeit haben, sollten sie folgendes bedenken:

„Druck“ steht immer in Abhängigkeit von der Stabilität der Fläche, auf die die Druckkraft trifft. Machen Sie Ihre Kinder zunächst stabil, indem Sie sie schon im Kindergarten daran gewöhnen, dass es im Leben nicht nur um ihre eigene Zufriedenheit und die Erfüllung ihrer eigenen „Bedürfnisse“ oder Wünsche geht. Manchmal muss man einfach tun, was nötig ist, und oft genug kann man dabei merken, dass auch das eigentlich ganz interessant und befriedigend ist. Man muss sich nur darauf einlassen.

Helfen Sie Ihrem Kind, in den verschiedenen Schulfächern nicht nur eine lästige Pflicht zu sehen, sondern immer auch etwas, das ihnen geschenkt wird, einen neuen Blickwinkel auf die Welt, eine neue Ebene der Realität, die einem hilft, mehr zu sehen hinter den Dingen und Ereignissen, die uns umgeben. Und zeigen Sie Ihren Kindern, dass diese Schönheit es wert ist, dass man sich abmüht – dass aber diese Mühe eben auch zum Leben dazugehört, wenn es gut werden soll. Es ist normal, dass gute Ergebnisse Anstrengung voraus setzen. Und es ist auch normal, dass Anstrengung nicht immer Spaß macht, dass man erst viel später versteht, warum sie sich dennoch gelohnt hat.

Das alles steht und fällt mit Ihrem Selbstverständnis als Erzieher: Glauben Sie von sich selbst, dass Sie etwas über das Leben wissen, das Ihre Kinder noch nicht wissen können? Glauben Sie, dass Sie als Eltern verpflichtet sind, den Graben an kindlicher Unwissenheit mit sanftmütiger Autorität zu überbrücken, bis Ihre Kinder als Erwachsene rückblickend sehen können, dass er da war? Glauben Sie, dass Sie jetzt unliebsame Entscheidungen treffen können und das Gejammer und Gemeckere darüber aushalten müssen, weil es das wert ist? Glauben Sie, dass Ihr Kind selbst eines Tages verstehen wird, dass es besser so war?

Das ist eine große Verantwortung. Freilich kann man tyrannisch herrschen unter dem Vorwand „Ich bin erwachsen, ich weiß es besser“. Es erfordert erzieherische Reife, abzuwägen, was ein wertvolles Ziel ist und was nicht. Aber dem eigenen Kind die Medaille verschaffen zu wollen, ohne es zu lehren, dafür zu rennen, ist auch nicht richtig. Es ist falsch, berechtigte Forderungen an Fleiß und Frustrationstoleranz generell als „Druck“ abzulehnen, weil man sich vor dem erzieherischen Aufwand scheut, mit dem Kind zu üben, Frust auszuhalten und sich in seiner eigenen Freizeit einzuschränken, um dem Kind einen strukturierten Tagesablauf und Selbstbeherrschung beizubringen.

Schlechter Druck ist die Wahl einer zu anspruchsvollen Schulform

Ein Hauptgrund für realen, unnötigen Leidensdruck bei Schülern ist in zahlreichen Fällen, dass sie schlicht auf die falsche Schule geschickt wurden. Eigentlich müsste doch angesichts der vielen qualifizierten und gut verdienenden Handwerker in Deutschland jeder sehen, dass ein guter Hauptschul- oder Realschulabschluss etwas absolut Erstrebenswertes ist. Professionelle Arbeit wird nach wie vor geschätzt, und zumindest hier in Süddeutschland treffe ich eine Menge taxifahrender Geisteswissenschaftler, während sich die Handwerker vor Aufträgen kaum retten können und händeringend qualifizierten Nachwuchs suchen. Dennoch haben sich viele Eltern einreden lassen, das Gymnasium sei als schwierigste Schulform die, die jeder anstreben sollte, und das Bildungssystem müsste und würde sich am Ende den Kindern anpassen statt umgekehrt. Ich sehe das nicht so. Das gegliederte Bildungssystem hat sich seit vielen Jahrzehnten bewährt und es gestattet Kindern mit den verschiedensten Begabungen, einen für sie passenden und motivierenden Lernweg zu wählen. Gleichmacherei führt zu weniger, nicht mehr Bildungsgerechtigkeit. Und es ist nun einmal so: Grob gesagt sind die Schulformen nach Intelligenz und Leistungswillen gestaffelt. Wer am Gymnasium gute Ergebnisse erzielen will, muss besonders intelligent und besonders leistungswillig sein. Und warum auch nicht? Die deutsche Elitenfeindlichkeit ist eine reine Neiddebatte. Jede Gesellschaft braucht eine Elite, die sie voranbringt. Ein Bildungssystem hat also immer auch die Aufgabe, eine Elite heranzuziehen. In Deutschland hingegen behandelt man intelligentere Menschen, als seien sie weniger wert. Wie „den Reichen“ bürdet man ihnen Verpflichtungen auf, ohne ihnen in gleichem Maße eigene Rechte zuzugestehen, ohne sie zu fördern und ihren Wert für die gesamte Gesellschaft anzuerkennen. Sie müssen Nachteile in Kauf nehmen, die man von anderen nicht erwartet, die stattdessen sogar zusätzliche Hilfen erhalten. Andererseits ist ein Kind ist auch nicht mehr wert, weil es intelligenter ist – kein Kind wird wertvoller dadurch, dass man es aufs Gymnasium schickt.

So oder so: Wenn Kinder mit Nachhilfe und riesigem Aufwand in ihrer Schulform gerade einmal mittelmäßige Noten erzielen, werden sie dort nicht glücklich werden. Gerade an der weiterführenden Schule geht es darum, wenigstens in ein, zwei Lernbereichen seine Liebe zur Meisterschaft zu entdecken, sein Leben mit einem ehrlichen Bildungsinteresse in dieser Richtung zu füllen und seine Berufswahl auf Basis dieser Mischung aus ehrlichem Interesse und größtmöglicher Leistungsfähigkeit zu treffen. Das ist nur möglich, wenn die Schulform der Intelligenz und sonstigen Leistungsfähigkeit des Kindes angemessen ist. Hat ein Kind ein halbes Jahr lang adäquat (!) in allen wichtigen Fächern geübt und erzielt dennoch keine besseren Leistungen als Note 3-4, dann sollte es in die nächsteinfachere Schulform wechseln. Sonst steht es andauernd unter einem Druck, der nur auflösbar erscheint, wenn ihm seine eigenen Leistungen egal werden, und das wäre eine erzieherisch fatale Folge.

Schlechter Druck ist emotionaler Erwartungsdruck ohne sachlich adäquate Hilfestellung

Auch an der richtigen Schulform kann es eine weitere Art von schlechtem Druck wirklich geben: Emotionalen Erwartungsdruck seitens der Eltern, während diese gleichzeitig gar keine oder keine sachlich adäquate Hilfestellung beim Lernen geben. Diesen beängstigenden Druck empfinden Kinder, wenn der Anspruch der Eltern mit ihrer aktuellen Leistungsfähigkeit stark auseinanderklafft. Besonders schlimm ist es, wenn die Eltern zusätzlich das Kind als Person abwerten oder durch Trauer oder Wut emotionalen Druck aufbauen. Wenn Mama über die 5 in Mathe weint und Papa schreit, aber keiner von beiden die Zeit , die Nerven und die Kompetenzen besitzt, sachgemäß täglich mit dem Kind das zu üben, was wirklich nicht „sitzt“: Dann steht das Kind unter Druck. Und zwar auch dann, wenn die Schulform grundsätzlich adäquat ist. Eltern können den Druck entfernen, wenn sie mit der 5 entspannt umgehen und hinter dem Fehler das Fehlende suchen und dem Kind helfen, das Fehlende aufzubauen. Natürlich kann man eine 5 in einer Geographie-Ex über Brandrodungswanderfeldbau auch einfach mal unter den Tisch fallen lassen, wenn sie normalerweise nicht vorkommt. Bleibt das Kind aber dauerhaft erkennbar hinter seinen Möglichkeiten zurück, weil es eigentlich zu sehr guten Leistungen fähig wäre und dennoch über die Noten 3-4 kaum hinauskommt, reagieren Eltern früher oder später frustriert und bauen emotionalen Druck auf, unter dem das Kind leider. Das ist auch dann der Fall, wenn das Kind selbst eigentlich ehrgeizig und intelligent ist, aber seine Eltern das unumgängliche Üben für unnötigen „Druck“ halten und es nicht dazu anleiten, weil sie denken, ihr hochbegabtes Kind müsste alles mit Links schaffen. Dabei zeichnen sich gerade hochleistende Schüler durch Fleiß und effiziente Lernstrategien aus. Solche Kinder sind unglücklich, weil sich ihre Eltern tatsächlich weigern, ihnen das nötige Handwerkszeug für Hochleistungen an die Hand zu geben, vielleicht noch mit der Aussage „Sei mit einer 3 zufrieden, das heißt doch „befriedigend““. Auch hier besteht unnötig belastender emotionaler Druck für das Kind.

Gute Lerntechniken zur Automatisierung bauen Druck ab und schaffen Sicherheit durch Routine

Manche Eltern verwechseln leider Lernmethoden, die auf vielen Wiederholungen oder auf sehr schnellem Antworten beruhen, mit „schlechtem Druck“. Das ist z.B. der Fall, wenn sie Angst vor „Druck“ haben, weil ihr Kind täglich 50 Vokabeln so lernen soll, dass es sie in weniger als 0,5 Sekunden richtig benennen kann. Oder wenn sie hören, dass ein Kind möglichst früh in Sprechgeschwindigkeit lesen können soll. Oder wenn sie unsicher werden, weil ihr Kind das Einmaleins sicher beherrschen müsste. Diese Angst ist jedoch völlig unbegründet. Alle solchen Forderungen beziehen sich auf die sogenannte „Automatisierung“ von Wissen und Abläufen, die hier näher erklärt ist. Kurz gesagt geht es dabei um sichere Routine in Basiswissen. Das ist eine wichtige Voraussetzung für die anderen Aspekte des Lernens, z.B. für das Wissen von Zusammenhängen oder das Verstehen neuartiger Strukturen.

Die Angst, die Kinder manchmal vor Prüfungen haben, besteht in einem großen Teil der Fälle völlig zu Recht. Sie ist unangenehm, aber nicht irrational. Die Kinder spüren oft ehrlicher als ihre Eltern, dass sie die grundlegenden Kompetenzen nicht routiniert beherrschen: Sie können die Vokabeln nicht, sie können nicht flüssig lesen, sie können die Nebenrechnungen nicht anstrengungsfrei ausführen, uvm. In all diesen Fällen würde Üben mit dem Ziel der Automatisierung die fehlende Routine aufbauen und dadurch die Kinder seelisch entlasten. Wenn ein Kind alle Zeitformen bilden kann, die Rechtschreibung beherrscht, alle Definitionen auswendig gelernt hat, dann kann es sich schon sehr sicher fühlen. Und wer sich sicher fühlt, muss keine Angst vor Prüfungen haben. Wer merkt, dass er durch tägliche Arbeitsroutinen wie „täglich Vokabeln / Einmaleins / Konjugationen… lernen“, „Nachbereitung des heutigen“ und „Vorbereitung des morgigen Unterrichts“ keine Angst vor einer plötzlichen Ausfrage haben muss, fühlt sich viel sicherer – und hat die besseren Noten. Dieser Aspekt ist nicht alles, was zum Lernen gehört und Prüfungsängste erklärt. Aber es ist ein sehr wichtiger Teil, der heute mehr als früher vernachlässigt wird. Wer gut mit ihm umgeht und dann noch eine Schulform wählt, an der ein solchermaßen fleißiges Kind in einigen Fächern regelmäßig 1er und 2er schreiben kann, ermöglicht seinem Kind eine Schullaufbahn ohne schädlichen Druck.

Ein Fahrrad fährt am bestem mit genau der richtigen Menge Druck in den Reifen – zu wenig ist genauso hinderlich wie zu viel. Zähne fallen aus, wenn sie nicht genug Druck erhalten, da dann der Wurzelbereich nicht ausreichend durchblutet wird. Das geschieht z.B., wenn wohlmeinende Eltern den Kindern die harte Rinde vom Brot schneiden, damit sie es leichter haben. Wer immer nur weiches Toastbrot kaut, schadet sich und bekommt Angst, auch nur in einen Apfel zu beißen. Wie schade! Beim Lernen ist es nicht viel anders. Man muss sich manchmal durchbeißen, anstatt davor beschützt zu werden. „Zumuten“ und „zutrauen“ gehen Hand in Hand. Nur, wenn Sie Ihrem Kind angemessene Belastungen zumuten, kann es sich auch mit Fug und Recht anschließend etwas zutrauen.