Katrin Steuten, eine engagierte Bibliothekarin, fragte uns:

„Die Verlage überbieten sich ja mit unterschiedlichen Angeboten, die das Lesen besser, leichter, motivierender gestalten wollen (z.B.: farbig markierte Silben, ausschließlich Großbuchstaben, groß gedruckter und klein gedruckter Text zum abwechselnden Lesen von Kind + Elternteil). Was davon löst wirklich sein Versprechen ein? Wir sind daran interessiert, den Kindern wirklich auch Erfolgserlebnisse zu verschaffen.“

 

Hier ist unsere Antwort:

Allzu große Schriften hemmen den Lesefluss eher, da die Blickspanne (in cm) nur wenige Wörter erfassen lässt, selbst wenn die geistigen Verarbeitungskapazitäten eigentlich mehr Inhalt pro Sakkade zuließen. Daher bin ich kein großer Fan dieser Erstklassbücher. Außerdem verzerrt der Satz vieler moderner Bücher m.E. die Einschätzung der eigenen Leseleistung: Wer früher einen Band „Fünf Freunde“ gelesen hat, muss heute etwa drei Bände „Magisches Baumhaus“ lesen, um gleich viel Text gelesen zu haben. Kind und Eltern denken aber, es wurde ja ein ganzes Buch „geschafft“. Das führt auf Dauer zu einer Nivellierung der Ansprüche – und Leistungsfähigkeit – nach unten. Der Verlag verkauft so für gleichviel Inhalt heute drei Bücher statt früher eines…

Farbige Silben:
Das Silbenkonzept liegt stark im Trend. Ich halte es für wenig hilfreich. Richtig daran ist die Idee, Wörter zu segmentieren. Silben halte ich aber nicht für die ideale Einheit zu diesem Zweck, da sie keine sinntragenden Einheiten sind und auch für die Rechtschreibung fast keinen Beitrag leisten. Morpheme wären die wesentlich sinnvollere Einheit. Also z.B. nicht „Hun-de-fut-ter“ (das suggeriert auch noch fälschlich, man könnte das Doppel-t hören, wenn man gut aufpasst), nicht „Nach-rich-ten-sen-dung“, nicht „Ei-sen-bahn-ver-spä-tung“, sondern eine Trennung nach Präfixen, Stamm, Verbindungsmorphemen und Endungen: „Hund-e-futt-er“, „Nach-richt-en-send-ung“, „Eisen-bahn-ver-spät-ung“. Das sind die Teile, die man auch beim Lesen abtrennt, und deren Training die Rechtschreibung verbessert. Man denke z.B. an die Ableitungsregeln vom Wortstaum (fallen – er fällt…) oder Fehler mit „fer-“ statt „ver-„. Also: Wenn schon mehrfarbig, dann in Morphemen. Das kollidiert dann allerdings evt. langfristig mit den Rechtschreibregeln zur Worttrennung. Als Ganztext halte ich das farbige Aufteilen daher für problematisch. Die beste Lösung dürfte sein, im Unterricht die Wortbausteine intensiv vorzustellen und als Blitzwörter zu trainieren, so dass sie beim Lesen von selbst erkannt werden.

Nur Großbuchstaben mögen Erstklässlern in den ersten zwei Wochen Erfolgserlebnisse bringen. Aber die charakteristische Form und Gestalt von Wörtern, die beim unbewussten Erkennen hilft, entsteht gerade durch den Wechsel von Groß- und Kleinbuchstaben (zumindest in lateinischen Schriften).

Ich hoffe, das beantwortet fürs Erste Ihre Fragen. Am Ende läuft es darauf hinaus, dass die seit Jahrhunderten als lesefreundlich aufgefassten Serifenschriften sehr gut geeignet sind (auch wenn angeblich eigene Legasthenie-Fonts helfen sollen; dazu kenne ich keine belastbare Studie – Leseschwache mögen es allerdings, wenn Schrift so aussieht wie die Druckschrift, die sie in der Schule lernen, da sie noch zu wenig Routine darin haben, die wichtigsten Merkmale der Buchstaben zu abstrahieren und sie so auch in anderen Schriften zu erkennen. Das scheint mir aber nach meiner persönlichen Erfahrung eher ein psychisches Problem zu sein; die Kinder wählen das aus, was für sie nach früheren Schuljahren und daher leichter aussieht. Schneller lesen auch die Legastheniker, mit denen ich arbeite, in Serifenschriften wie der dieses Artikels.). Die typographischen Grundregeln (z.B. keine Fonts mit verwirrender Verbindung von ft, lft etc.) sind wichtig und werden manchmal vernachlässigt.

 

Ein ganz normales Buch ist daher insgesamt ein ziemlich gutes Buch ?

Herzliche Grüße,

Miriam Stiehler