Viele didaktische Ansätze zum Erwerb der Schriftsprache stellen die Kreativität in den Vordergrund. Sie räumen den Kindern deshalb auch viele Freiheiten beim Erlernen der Schriftsprache ein, anstatt ihnen die Rechtschreibregeln zu vermitteln und diese mit ihnen gründlich einzuüben. Eine neue Einzelfallstudie zeigt, dass schlichtes, klar strukturiertes Üben die Schüler weiter bringt:

  • Titel der Studie: Verbesserung der Rechtschreibleistungen durch eine übungsorientierte Lernstrategie. Eine Einzelfallstudie.
  • Veröffentlichung in:  Sonderpädagogische Förderung heute, 2015, 60. Jahrgang, Heft Nr. 2, S. 176-191
ISSN 1866-9344 (Print)
  • Autoren der Studie: Matthias Grünke und Alessa Weber (Universität zu Köln)

Zusammenfassung von Erwin Breitenbach

Grünke und Weber erproben mittels ihrer beiden Einzelfallstudien eine altbekannte und altbewährte, zum ersten Mal von Frenzel 1926 beschriebene, Lernmethode, die derzeit in der angloamerikanischen Fachliteratur als „Copy, Cover and Compare (CCC) zu deutsch „Abschreiben, Abdecken und Abgleichen (AAA) ihre Auferstehung feiert. Das Vorgehen sieht konkret folgendermaßen aus:

  1. In der Eingangsdiagnostik (Test, Fehleranalyse) werden Fehlerschwerpunkte identifiziert und zu jedem Fehlerschwerpunkt wird eine Sammlung von Wörtern zusammengestellt. Dazu kann man die von der Universität Leipzig veröffentlichte Liste der 10 000 verbreitetsten Wörter der deutschen Sprache benutzen.
  2. Nacheinander werden die zu den Fehlerschwerpunkten passenden Rechtschreibregeln erläutert. Sie werden als Merksätze auf große Karteikarten geschrieben und an Beispielen verdeutlicht. Diese Rechtschreibregeln sind beim Üben immer zu sehen und dienen als Erinnerungshilfe. Bei Falschschreibungen kann man so immer auf sie zurückgreifen und die richtige Schreibung erklären. Zu Beginn jeder Übungseinheit wird mit Hilfe der Karteikarten noch einmal ausdrücklich auf alle bisher besprochenen Rechtschreibregeln hingewiesen
  3. Zum Üben werden jeweils pro Rechtschreibregel 10 Minuten verwendet. Geübt wird nach folgendem Schema: Wort anschauen und abschreiben, Wort abdecken, Wort noch einmal aufschreiben, Wort vergleichen. Das Wortmaterial stammt aus der vorher zusammengestellten Wörtersammlung. Folgendermaßen kann ein Arbeitsblatt hierzu aussehen:  AAA
  4. Am Ende jeder Förderung wird als Lernkontrolle ein Wortdiktat mit 10 Wörtern pro Fehlerschwerpunkt geschrieben. Die diktierten Wörter sind ebenfalls der Wörtersammlung entnommen.

In der Fallstudie von Grünke und Weber wurden bei zwei Jungen in der Eingangsuntersuchung oder Grundratenerhebung drei Fehlerschwerpunkte identifiziert: Konsonantenverdopplung, Auslautverhärtung und Vorsilbe „ver“. In vier bis neun Interventionssitzungen wurde mit beiden Schülern in der oben beschriebenen Art und Weise geübt. Das ausdrückliche Erläutern der Regeln und das systematische Üben nach den Prinzipien von AAA führten in beiden Einzelfallstudien in allen drei Problembereichen zu signifikanten Leistungssteigerungen.

Kommentar von Erwin Breitenbach:

Diese von Grünke und Weber vorgelegte aktuelle Studie begeistert mich in mehrerer Hinsicht:

  1. Die hier im Einzelfall erprobte einfache Lernmethode zur Förderung rechtschreibschwacher Kinder mit Problemen in der Beachtung bestimmter Rechtschreibregeln ist von Lehrkräften leicht umzusetzen und gerade in Zeiten der Inklusion als differenzierende Maßnahme in den Unterricht integrierbar.  Die Autoren verweisen darauf, dass sich Schüler mittels dieser Methode auch gut gegenseitig unterstützen und fördern können.
  2. Die vorgestellte erfolgreiche Förderung mit Hilfe einer übungsorientierten Lernstrategie verweist zum wiederholten Mal auf die Bedeutung und hohe Effizienz des problemspezifischen Übens mit sofortigem Feedback. Diese, aus vielen Metaanalysen bekannte Erkenntnis, scheint sich nur langsam bei unseren Lehrkräften durchzusetzen. Allzu viele halten das „bloße“ Üben immer noch für eine stumpfsinnige Zeitverschwendung.
  3. Die Autoren greifen auf eine in früheren Zeiten in Pädagogik und Psychologie weit verbreitete und geschätzte Forschungsmethode zurück, die Einzelfallstudie. Mit dem entsprechenden Design lassen sich die Veränderungen auch bei N=1 auf Signifikanz hin prüfen und auf die Intervention zurückführen. Sie zeigen damit auch einen Weg zur Evaluation einzelner Fördermaßnahmen in Therapie und Unterricht. In diesem Zusammenhang ziehe ich meinen Hut vor den Herausgebern der Zeitschrift „Sonderpädagogische Förderung heute“, die gegen den durch statistisch-empirische Forschung geprägten „mainstream“  eine solche Einzelfallstudie veröffentlichen.

Abschließend noch einige kritische Bemerkungen:
Die Autoren betonen selbst, dass eine Verallgemeinerung der Erkenntnisse auf der Grundlage ihrer Fallstudie nicht gerechtfertigt sei, wenn nicht weitere entsprechend sorgfältig durchgeführte und dokumentierte Einzelfallstudien vorlägen. Dem stünden allerdings die hohe Praxisrelevanz sowie Studien, die vergleichbare Fördermaßnahmen als wirkungsvoll evaluieren, gegenüber.
Eine weitere Kontrollphase nach der Intervention zur Prüfung der Stabilität der Lerneffekte wäre hilfreich gewesen; auch diesen Mangel sehen die Autoren selbst.

Kommentar von Miriam Stiehler – mit Vorlage zum Download:

Ich finde diese Übungsform ebenfalls äußerst praktikabel. Im kommenden Jahr möchten wir einige thematisch geordnete Vorlagen zum Download anbieten, um Eltern und Lehrern den Einsatz noch stärker zu erleichtern. Ich selbst verwende folgende Vorlage, die auf einem einzigen Blatt mehrere Übungsdurchgänge ermöglicht: AAA Vorlage 15 Zeilen

Wie auch beim Thema Handschrift noch zu sehen sein wird, unterschätzen viele Lehrkräfte tatsächlich die Notwendigkeit langweiligen Übens. Aber auch Eltern haben hieran eine Mitverantwortung: Ihnen fehlt es oft an der Bereitschaft, Kindern auch einmal langweilige, aber wichtige Tätigkeiten zuzumuten. Dies dann auch noch fröhlich, aber mit sanftmütiger Härte zu begleiten, gelingt nur wenigen. Denn wenn das Kind sich langweilt, ist das erzieherisch anstrengend, und der Erzieher müsste auf seine Art das gleiche leisten wie das Kind: eine notwendige, aber unliebsame Tätigkeit gewissenhaft ausführen. Wenn man Kindern nichts zumutet, kann man ihnen auch nur wenig zutrauen, und Kinder, denen nur wenig zugemutet wurde, trauen sich auch selbst weniger zu. Zu Recht: Nicht selten kommt Prüfungsangst aus dem vagen Bewusstsein, dass man den Stoff in Wirklichkeit nicht automatisiert hat, nicht wie im Schlaf beherrscht und unter Druck oder in neuen Zusammenhängen nicht kompetent genug sein wird. Hier würde entsprechendes Üben helfen.