Immer wieder geistern Unterrichtsideen mit Legosteinen durchs Netz, die als „genial“ und „kreativ“ weiterverbreitet werden. Leider sind sie in der Regel wenig durchdacht. Das gilt zum Beispiel für die Idee einer amerikanischen Lehrerin zum Bruchrechnen mit Lego, die kürzlich von der FAZ aus dem Netz gefischt wurde.

Obwohl (oder weil) ich selbst ein Buch über „Rechnen mit Legosteinen“ geschrieben habe, halte ich Legosteine gerade für das Bruchrechnen für wenig geeignet. Folgendes Beispiel soll angeblich dazu dienen, „den Einstieg in die Rechenwelt so einfach wie möglich zu gestalten“ (FAZ):

Das kann es aber nicht, denn hier wurde nach der ersten Begeisterung nicht weitergedacht:

Erstens wird, wie so oft, vergessen, dass diese Darstellung nur solchen Schülern hilft, die das Bruchrechnen schon gut verstehen. Schwache Rechner wären verwirrt davon, dass hier eigentlich etwas anderes dargestellt wird, als geschrieben steht, nämlich in Wirklichkeit 8 x ½ = 4, 8 x ¼ = 2 etc. Das wird dargestellt und nicht 1:2 = ½. Freilich sieht das die Urheberin anders, denn sie hat definiert: 1 = ein Achterstein. Genau das ist aber tabu, wenn man wirklich den „Einstieg in die Mathematik möglichst einfach machen will“. Wenn man mit der Definition 1=8 Noppen arbeitet, spricht man damit stark fortgeschrittene Schüler an.

Als Hilfe für schwächere Rechner oder Anfänger funktionieren Legosteine im Rechenunterricht nur gut nach der Regel 1 Noppe = 1. (Dann aber können sie besser sein als alles herkömmliche Material.) Nur in der Darstellung der Quadratzahlen wurde das berücksichtigt, aber auch das ist nicht optimal gelungen:

Man sollte für 2 x 2 = 2²  zwei Steine der Größe 1×2 Noppen nehmen, für 3 x 3 = 3² drei Dreier-Steine etc. Eindeutigkeit ist wichtig, gerade, wenn man schwachen Rechnern helfen will. Für das Quadrieren sind zwar nur die Längen der Außenkanten entscheidend, aber die Umwandlung in eine Multiplikation, die wiederum eine mehrfache Addition gleich großer Mengen ist, wird nur deutlich, wenn diese gleich großen Teilmengen auch real vorhanden sind. Im Beispiel muss man sich z.B. bei 3 x 3 den roten 6er-Stein als aufgeteilt in zwei Dreier-Steine denken, und das überfordert Schüler, die sich auf die dargestellte Operation konzentrieren sollen. Es wirft bei klugen Schülern die Frage auf, ob das wohl Absicht sei, ob hier ein zusätzlicher Zusammenhang dargestellt werden soll, und kann so zu Missverständnissen führen. Man sollte mit jedem Rechenmaterial nur die Zusammenhänge darstellen, die in der Rechnung vorhanden sind bzw. betont werden sollen, und keine zusätzlichen darstellen, auch nicht versehentlich.

Nocheinmal zurück zum Bruchrechnen: Die abgebildete Idee hat noch einen anderen Pferdefuß.

Es sind mit den jeweils gleichen Steinen nur ausgewählte  Rechnungen möglich, was dem Konzept des Bruches völlig zuwiderläuft. Wenn man definiert „ein 8er-Stein = 1“, kann man damit z.B. nicht  durch 3, 5, 6 etc. teilen. Die 1 kann man aber durch alle Zahlen teilen, das ist ja das Entscheidende am Bruch. Division lässt sich mit Lego gut darstellen, sogar Division mit Rest, aber das Konzept des Bruches nicht – nur Rechnungen mit Brüchen wie 8 x ½ = 4, s.o. Das hilft aber nicht bei der Erarbeitung der Struktur „Bruch“ als allgemeinener Größe.

Da jeder Stein bei der Definition 1 Noppe = 1 bereits einen bestimmten Wert hat, sind Rechnungen wie 1/2 + 5/3 darüber hinaus so schwierig darzustellen, dass dies bestenfalls eine Zusatzaufgabe für besonders fitte Schüler sein könnte, aber keine gute Erarbeitungshilfe für schwache Schüler. (Schaffen Sie’s? Ein Tipp: Versuchen Sie es mit ½ x 6 + 5/3 x 6 anhand von Sechser-Steinen.) Bei Rechnungen wie  ½ x 6 + 5/3 x 8 verliert der Einsatz von Material dann endgültig seine Berechtigung – und das macht gar nichts.

Denn Material ist, wie Hans Aebli sagt, nur dort am rechten Platz, wo es die Struktur einer Operation klarer macht. Das eigentliche Lernziel ist nicht, mit Legosteinen Rechnungen darstellen zu können, sondern die Strukturen der Mathematik zu verstehen. Material nimmt einem die Anstrengung nicht ab, die wunderbaren, aber unsichtbaren mathematischen Strukturen zu denken und in der adäquaten, sachlogischen mathematischen Schreibweise wiederzugeben.

Eine überarbeitete, aktualisierte Version von „Rechnen lernen mit Legosteinen“ wird übrigens voraussichtlich im Lauf des Jahres 2016 hier im Blog vorgestellt werden und erhältlich sein! Dort finden Sie fundierte Anwendungen für dieses Material, die wirklich funktionieren und die großen Vorteile der Steine nutzen.