Wie lassen sich Rechenschwierigkeiten bereits im Vorschulalter auf spielerische Weise fördern, ohne dass die Erzieherinnen im Kindergarten ein starres Lehrprogramm absolvieren müssen? Damit beschäftigt sich die Studie von Jörns, Grube et al., (s. Info am Seitenende) die hier zusammengefasst und kommentiert wird.

Zusammenfassung der Studienergebnisse

142 Kindergartenkinder, die zu Beginn der Studie zwischen 4;0 und 5;10 Jahren alt waren, wurden in eine Förder- und zwei Kontrollgruppen aufgeteilt. Die numerischen Kompetenzen aller Kinder wurden direkt vor und direkt nach der 5 Wochen dauernden Förderzeit gemessen. (Kontrollgruppendesign mit Prä-Post-Messung).

Die Fördergruppe erhielt zu Beginn des Förderzeitraums eine Förderbox mit einem Manual und zehn Förderspielen. Die Erzieherinnen und Erzieher wurden angewiesen, die Spiele während der fünfwöchigen Förderphase so oft wie möglich mit den Kindern zu spielen. Die Spiele erfordern die Anwendung einer oder mehrerer der in Krajewskis Zahl-Größen-Verknüpfungs-Modell beschriebenen Fertigkeiten bzw. regen das Nachvollziehen der im Modell enthaltenen Prinzipien an.

So müssen die Kinder im Spielverlauf im Zahlenraum von 1 bis 10 beispielsweise arabische Zahlen benennen, Zahlen einer Menge zuordnen, die Zahlenreihe vorwärts und rückwärts abschreiten, sowie Mengen abzählen, miteinander vergleichen und/oder addieren. Die Spiele wurden den Spielprinzipien bekannter Gesellschaftsspiele (z.B. Memory oder Domino) nachempfunden.

Die Erzieherinnen und Erzieher übernehmen beim Spielen eine Vorbild- und Unterstützerfunktion, indem sie selbst mitspielen und/oder bei der Ausführung der Spielzüge behilflich sind. Zuweilen hält das Manual dazu an, die Kinder auf bestimmte zahlen- und mengenbezogene Prinzipien aufmerksam zu machen (z.B. „Schaut mal, diese vier Käfer kuscheln sich ganz eng zusammen und diese vier Käfer krabbeln wild umher. Trotzdem sind es immer vier Käfer.“).

Einer der beiden Kontrollgruppen wurde eine Förderbox mit Spielen zur Verfügung gestellt, die in Gestaltung und Anwendung der numerischen Förderbox glich, deren Spiele jedoch auf die Förderung der phonologischen Bewusstheit abzielten. Die zweite Kontrollgruppe nahm nur an der Vor- und Nachuntersuchung teil.

Die Untersuchung kam zu folgenden Ergebnissen:

1. Das regelmäßige tägliche Spielen von Gesellschaftsspielen mit numerischen Inhalten über einen Zeitraum von fünf Wochen bewirkte bei den Kindern eine Zunahme hinsichtlich ihrer numerischen Kompetenz. Die Tatsache, dass der Leistungszuwachs in der Fördergruppe höher ausfiel als in beiden Kontrollgruppen, spricht für die Wirksamkeit des Förderkonzepts. Einfache Zuwendungs- und Aufmerksamkeitseffekte können damit als Erklärung für die Lernzuwächse in der Fördergruppe ebenso ausgeschlossen werden wie programmfremde Förderfaktoren.
2. Geförderte Kinder mit geringer entwickelten numerischen Fähigkeiten gewannen über die Förderzeit hinweg mehr an Kompetenz dazu als Kinder mit guten numerischen Fähigkeiten, die keine Förderung erhielten. Auch wenn die zuvor numerisch schwachen Kinder nach der Förderung noch nicht an die Fähigkeiten der numerisch starken Kinder heranreichten, so hat sich die Differenz zwischen beiden Gruppen ein gutes Stück weit verringert.

Kommentar:

Ausgangspunkt und Grundlage der Studie ist das bewährte Modell der Zahl-Größen-Verknüpfung (ZGV) von Krajewski. Durch diese theoretische Fundierung der Untersuchung lassen sich die Ergebnisse leichter verstehen und erklären sowie in den bisherigen Kenntnisstand einordnen.
Das verwendete Kontrollgruppendesign stellt sicher, dass die gefundenen Effekte auch tatsächlich nur auf die Intervention, das heißt auf die Spiele zurückzuführen sind.
Bisher wurde nicht geprüft inwieweit die gefundenen Effekte auch über einen längeren Zeitraum erhalten bleiben. Eine Follow-up-Studie ist nach Angaben der Autoren geplant, sodass diese wichtigen Informationen zur langfristigen Wirksamkeit demnächst nachgeliefert werden.

Interessant wäre auch, und darauf weisen die Autoren selbst hin, in künftigen Studien zu prüfen, ob die Fördereffekte der Spiele vergleichbar sind mit denjenigen von kompletten Förderprogrammen oder ob eine Methode der anderen überlegen ist.

In der Zeitschrift für Heilpädagogik analysiert und bewertet die Sonderpädagogin Ria-Friederike Prote auf Grundlage des Zahl-Größen-Verknüpfungs-Modell eine Reihe von Gesellschaftsspielen (Halli Galli. Auf die Glocke-fertig-los!, Ich spiele Einkaufen, Vier gewinnt, Rate-Garten, Gänsespiel, Ravensburger 22236 – Äpfelchen, Geschicklichkeitsspiel, Ravensburger 23119 – Max Mümmelmann – Mitbringspiel, Hier kommt die Maus, Quips und Mein Taschengeld) auf ihren Fördergehalt hinsichtlich der frühen mathematischen Kompetenzen. Allerdings fehlt diesem Vorschlag zum spielerischen Lernen der empirische Nachweis, dass sich der Einsatz der ausgewählten Gesellschaftsspiele tatsächlich förderlich auf die frühen mathematischen Kompetenzen auswirkt und damit präventiv Rechenschwierigkeiten entgegenwirkt, so wie es im Titel des Aufsatzes angekündigt wird. Dessen ungeachtet können sich Eltern und Erzieherin bei der Auswahl förderlicher Spiele an der hier vorgelegten Liste orientieren, da eine positive Wirkung dieser Spiele aufgrund der theoriegeleiteten Analyse durchaus vermutet werden kann.
(Prote, Ria-Friederike (2014): Spielerisches Lernen mit Gesellschaftsspielen-Entwicklung einer Handreichung zur praxisnahen Förderung mathematischer Kompetenzen und zur Prävention von Rechenschwierigkeiten im elementaren Bildungsbereich. In: Zeitschrift für Heilpädagogik, Heft 4, S. 137-146.)

 

Autoren der hier beschriebenen Studie:

Christina Jörns (1), Kirsten Schuchardt (1), Dietmar Grube (2) & Claudia Mähler (1)

(1) Stiftung Universität Hildesheim, (2) Carl von Ossietzky Universität Oldenburg

 

Veröffentlichung in:
Empirische Sonderpädagogik, 2014, 6. Jahrgang, Heft Nr. 3, S. 243-259
ISSN 1869-4845 (Print) · ISSN 1869-4934 (Internet)