In den bisherigen Beiträgen habe ich erklärt, warum Karteikarten wesentlich besser zum Vokabellernen geeignet sind als das Vokabelheft. Wie sieht es nun mit Apps aus, die letztlich auf dem Prinzip des Karteikastens beruhen, aber eben digital funktionieren?

Es gibt Dutzende davon am Markt. Mein Ziel ist es, hier die besten die besten Apps für Schüler vorzustellen. Schüler sind darauf angewiesen, den Pflichtwortschatz entweder zu kaufen oder selbst einzutragen. Deswegen habe ich Apps, die nur einen allgemeinen Grundwortschatz bieten oder einen Sprachkurs für Erwachsene darstellen, nicht berücksichtigt. Außerdem sollten die Apps für Android-Geräte und iPhones verfügbar sein. Da nur wenige Apps den Auswahlkriterien genügen, stelle ich hier detailliert die Apps Flashcards DeluxePhase 6 und Quizlet vor. Zunächst aber ein paar generelle Informationen zu Vokabel-Apps:

Vor- und Nachteile des Lernens per App

Vorteile:

  • Der größte Vorteil besteht wohl darin, dass gute Apps die fälligen Vokabeln automatisch im richtigen Zeitabstand abfragen. Man muss die Karten nicht mehr von Hand in verschiedene Fächer des Karteikastens einordnen.
  • Bei manchen Apps, z.B. Phase 6, kann man die Wortschätze zu bestimmten Lehrbüchern kaufen. Die Auswahl ist dabei größer als bei den erhältlichen Karteikästen aus Papier, die einige Verlage ebenfalls zu ihren Lehrbüchern anbieten. Man tauscht hier Geld gegen Zeit und spart sich das Schreiben der Karten. Allerdings ist das nur dann hilfreich, wenn die Einträge gut gemacht sind und z.B. den Prinzipien folgen, die ich im Artikel über Karteikästen vorgestellt hatte.
  • Sprachausgabe: Manche Apps bieten zusätzlich eine Sprachausgabe, mit der man nebenbei die richtige Aussprache trainiert. Das ist v.a. dann von Vorteil, wenn man sich mit der Aussprache ein wenig schwer tut oder wenn die Eltern die jeweilige Fremdsprache selbst nicht sprechen und den Schüler bei Ausspracheproblemen nicht beraten können.
  • Man spart sich den Platz für die Karteikarten; je nachdem, wieviel Platz man in der Nähe des Schreibtischs zur Verfügung hat, kann das ein Argument sein. Schließlich nehmen die Karten für drei gymnasiale Fremdsprachen im Lauf der Zeit doch einige Schubladenboxen in Anspruch.
  • Karteikarten können nicht verlorengehen. Mancher achtet vielleicht zuverlässiger auf sein Smartphone als auf seine Karteikarten. Ist man auch noch viel unterwegs, kann das ein Argument für die App sein.

Nachteile

  • Es gibt Studien, die belegen, dass Studenten, die bei Vorlesungen von Hand mit schreiben einen größeren Lernerfolg haben als wenn sie am Computer mitschreiben. Inwiefern sich das auf den reinen Schreibprozess auch bei einzelnen Wörtern übertragen lässt, ist unklar. Anekdotisch berichten Schüler und Erwachsene gelegentlich, dass sie mit realen Karteikarten aus Papier besser lernen, weil es sich für sie besser anfühle, etwas in der Hand zu haben und die eigene Schrift vor sich zu sehen. Ob das allgemein so ist, lässt sich aktuell meines Wissens nicht bewerten, man muss es für sich selbst ausprobieren.
  • Ein Nachteil aus erzieherischer Sicht ist, dass der Schüler überhaupt ein Smartphone oder Tablet zur Verfügung haben muss. Es gibt gute Gründe, das Benutzen  eines Smartphones in der 3. bzw. 5 Klasse noch nichtzu erlauben, obwohl zudieser Zeit bereits die erste Fremdsprache gelernt  wird. Diese erziehrischen Aspekte  sprechen meines Erachtens immer für einen Karteikasten und gegen die Vokabel-App. Erziehung hat Vorrang und macht die Vorteile der Vokabel-App allemal wett. Später kann man hingegen Jugendlichen klar machen, dass das Smartphone nicht alleine für WhatsApp da ist, sondern ein Hilfsmittel für die Alltagsorganisation darstellt. Das Smartphone kann man dann beispielsweise unter der Bedingung erlauben, dass die Vokabeln täglich zuverlässig gelernt werden; das muss man freilich auch überprüfen. Alternativ kann man natürlich das elterliche Tablet oder Smartphone nach klaren Regeln zum Lernen zur Verfügung stellen.
  • Will man den Vorteil des Lernens unterwegs nutzen, zB. im Bus oder der S- Bahn, muss der Schüler das Smartphone selbständig und eigenverantwortlich nutzen. Die Eltern müssen sich dann darauf verlassen, dass es entsprechend der ausgemachten Regeln verwendet wird. Aber auch hier ist Kontrolle zumindest anfangs nicht das Schlechteste.
  • Zeitaufwand: Beim Lernen mit Karteikarten dreht man einfach nur die jeweilige Karte um, gesteht sich ehrlich ein, ob man die Übersetzung oder Antwort wusste und legt die Karte beiseite bzw. ins richtige Fach. Beim HAN-System muss man maximal noch eine Zahl am Rand der Karte notieren. Je nach App hingegen muss man die Antwort erst eintippen. Das dauert selbst bei gut trainierten Teeniedaumen seine Zeit. Vertippt man sich, wird die Antwort i.d.R. als falsch gewertet.

Es gibt noch drei weitere Aspekte, die die Auswahl an verfügbaren Apps für Schüler sehr schnell einschränken:

  • Manche Apps gestalten das Lernen so „spielerisch“, dass es im Vergleich zum Karteikasten mit hohem Zeitverlust verbunden ist. Das wird zwar als motivierend beworben, stellt aber aus pädagogischer Sicht letztlich einen Nachteil dar, da die Gewöhnung an effiziente, aber etwas langweiligere Routinetätigkeiten ein wichtiger Teil der Lernerziehung ist. Es ist reifer und vernünftiger, seine Vokabeln möglichst effizient und systematisch zu lernen, als primär den Spieltrieb zu befriedigen. Besser ist es, nach dem Vokabellernen eine gewisse Spielzeit mit einem richtigen Spiel ohne jegliche pädagogische Verbrämung zu erlauben, als einem Kind das Lernen als Spiel zu „verkaufen“. Apps wie Phase 6 oder Flashcards Deluxe sind nüchtern und effizient gestaltet, Sprachlernsysteme wie Babbel hingegen sind mit einem hohen Zeitverlust verbunden.
  • Karteikarten kann man quasi unbegrenzt aufbewahren. Wenn man seine Kinder in der Schule unterstützen möchte und merkt, dass der eigene früher gelernte Wortschatz ein wenig eingerostet ist, kann man sie hervorholen und sein Vokabular auffrischen. Das gleiche gilt zur Vorbereitung auf einen Urlaub oder bei beruflichem Bedarf. Bei Apps sollte man darauf achten, dass man ein Nutzerkonto erhält, in dessen Rahmen der erstellte Wortschatz zentral und für unbegrenzte Zeit gespeichert wird. Wichtig ist, dass man beim Kauf eines neuen Smartphones oder bei einem Systemupdate nicht Gefahr läuft, den bisher erstellten Wortschatz zu verlieren. Auch sollte die App von einem größeren Hersteller sein, denn wenn das Produkt mangels Erfolg nach ein bis zwei Jahren eingestellt wird, verliert man sonst möglicherweise alle erstellten Karteikarten.
  • Karteikarten können von mehreren Geschwistern verwendet werden. Wenn das erste Kind sie ordentlich schreibt und man sie gut aufbewahrt, können die nachfolgenden Geschwister sie problemlos nutzen. Bei Apps ist es nicht selbstverständlich, dass man die angelegten oder gekauften Wortschätze mehreren Nutzern zur Verfügung stellen kann. Dass mehrere Kinder gemeinsam ein Nutzerkonto verwenden, macht keinen Sinn, da die Apps ja automatisch den Lernfortschritt speichern. Wenn mehrere Kinder mit dem selben Konto lernen, speichert die App den Lernstand des letzten Kindes, aber die Geschwister können ganz andere Wörter schlechter bzw. besser – die Abfragereihenfolge passt dann nicht mehr zum Lernstand der Kinder. Getrennte Nutzerkonten für Geschwister gehen z.B. bei Phase 6 ordentlich ins Geld, zusätzliche Vokabulare kosten immer noch 50% des Standardpreises und auch das nur, wenn mindestens zwei Kinder im selben Jahr bei Phase 6 Kunden sind. Als Mutter von vier Schulkindern ist es mir wichtig, dass ich Synergien nutzen kann und nicht für jedes Kind der gleiche Aufwand anfällt oder immer wieder hohe Kosten entstehen.

Betrachtet man all diese Nachteile, bleiben aktuell drei Apps übrig, die für Schüler ernsthaft in Frage kommen: Flashcards Deluxe, Phase 6 und Quizlet. Alle Apps laufen stabil, sind so verbreitet, dass man auch für die nächsten Jahre wohl nicht mit ihrem Verschwinden vom Markt  rechnen muss und sind sowohl für Android als auch iOs 6 erhältlich.

Flashcards Deluxe

Flashcards Deluxe ist eine ausgereifte und technisch sehr mächtige, aber klar auf Karteikarten und alles was man mit ihnen machen kann fokussierte App. Sie bietet eine Art „best of all worlds“.

Pro:

  • einfache Handhabung
  • man kann wählen, ob man zeitsparend zum antworten wischen oder die Antwort eintippen möchte
  • gestaffelte Wiederholungen im richtigen Abstand sind genauso möglich wie die Alternative „kurzfristiges Lernen“ ohne mehrfache Stufen, z.B. zur Prüfungsvorbereitung (auch bei Phase 6 möglich)
  • Karten können in Kategorien unterteilt und illustriert sowie mit Tönen versehen werden. Karten für Lernfächer können bis zu 5 Seiten Inhalt umfassen.
  • Es gibt für die Antwort nicht nur „richtig“ und „falsch“ sondern als 3. Kategorie noch „sehr sicher“ für Karten, die bald nicht mehr geübt werden müssen.
  • Sprachausgabe ist ohne hohe Mehrkosten für selbst erstellte Karten in 18 Sprachen verfügbar (bei Phase 6 nur im Rahmen der Premium-Funktion, s.u.)
  • Karten aus der Quizlet-Community können importiert werden (s.u.)
  • Karten-Sammlungen aus der Flashcards Deluxe Community können kostenlos importiert werden.
  • Man kann ohne technische Probleme auch große Mengen z.B. am Computer erstellter oder aus der Flashcards Deluxe Community geladene Karten importieren, auch 10.000 Stück und mehr sind kein Problem.
  • Man kann Karten am Computer sehr einfach erstellen, indem man eine Tabelle (Excel etc.) anlegt, also wie in einem Vokabelheft. Beim Import werden daraus automatisch Karteikarten erzeugt. Die Karten können lokal auf dem Computer gespeichert werden, auch DropBox wird unterstützt.
  • viele weitere Features für fortgeschrittene Lerner, Studium etc. (Multiple Choice uvm.)
  • Für den Preis von 3,99€ erhält man einen enormen Umfang an Funktionalität ohne weitere Folgekosten. Zum Einstieg ist auch eine kostenlose Lite-Version erhältlich.

Contra:

  • Man kann nicht davon ausgehen, dass Sammlungen passend zu den gängigen Lehrbüchern verfügbar sind, sondern muss seine Karten i.d.R. zumindest einmal selbst erstellen.

 

Phase 6

Phase 6 ist die bekannteste Vokabel-App in Deutschland und das nicht zu Unrecht, die Funktionalität ist über viele Jahre verbessert worden und das Angebot ist beeindruckend. Das hat dann allerdings auch seinen Preis.

Pro:

  • Die Vokabeln werden automatisch in immer größeren Zeitabständen abgefragt.
  • Man kann die Vokabeln zu mehreren hundert Lehrbüchern kaufen, fast alle gängigen Schulbücher sind damit abgedeckt.
  • Man kann sehr vielfältig einstellen, wie streng die Antworten bewertet werden und wie die Abfrage vonstatten geht. Besonders wichtig ist, dass man einstellen kann, ob ein falsch beantwortetes Kärtchen nur ein Fach im Karteikasten (eine „Phase“) zurückwandern muss oder in die allererste „Phase“ zurückversetzt werden soll. Ebenfalls sehr wichtig, weil zeitsparend: In der mobilen App kann man das Eintippen der Antwort deaktivieren und stattdessen mit einer Wischbewegung das Kärtchen quasi umdrehen, also die Antwort anzeigen lassen. Meines Erachtens ist das aus Zeitgründen für intelligente, fortgeschrittene Lerner absolut notwendig, damit eine App gegenüber Karteikarten ihren Vorteil behält.
  • Einstellbar ist ferner z.B., ob die Audioausgabe automatisch abgespielt wird oder nur auf einen Klick hin, ob bei richtiger Anfrage sofort die nächste Frage kommt oder erst Feedback, ob die Groß-/Kleinschreibung ignoriert werden soll und ob bei einer falschen Antwort die Möglichkeit zur Korrektur gegeben werden soll.
  • Phase 6 kann sowohl am Computer als auch auf Tablets und Smartphones verwendet werden. Über ein Familienkonto kann man Inhalte über verschiedene Geräte und Nutzer hinweg verteilen.

Contra:

  • Man kann zwar ein Familienkonto anlegen, mit dessen Hilfe die Eltern z.B. die Vokabeln des Englischbuchs für die 6. Klasse kaufen und anschließend mit einem Kind teilen. Das ist aber für jeden Lerninhalt nur für genau ein Kind möglich. Hat man zwei Kinder in der selben Jahrgangsstufe, muss man die Inhalte auch zweimal kaufen. Die Premium-Funktion kostet zusätzlich 23,88€ im Jahr. Der viele Komfort kostet eben auch entsprechend.
  • Für andere Inhalte als Vokabeln eignet sich Phase 6 nicht besonders gut. Wer vorhat, auch für Fächer wie Geschichte, Biologie, Musik etc. mit selbst erstellten Karteikarten zu lernen (was sich sehr empfiehlt), für den ist Phase 6 nicht ideal.

Quizlet

Quizlet ist eine Community-orientierte App mit überschaubaren spielerischen Elementen. Sie ist erstens dafür geeignet, normale Karteikarten für Vokabeln zu erstellen und diese abfragen zu lassen. Zweitens ist Quizlet dafür gedacht, Sachinhalte mit Hilfe von Karteikarten zu lernen. Zu diesem Zweck werden über eine Nutzergemeinschaft tausende von Karten zu den verschiedensten Themen aus Biologie, Geschichte uvm. bereitgestellt, die man kostenlos nutzen kann. Sie enthalten oft auch Schaubilder oder Illustrationen; allerdings sind viele auf Englisch.

Pro:

  • zeitsparende Verwendung: die App simuliert graphisch Karteikarten, man muss keine Antwort eintippen, sondern dreht die Karten mit einem Klick um
  • genügend grundlegende Einstellmöglichkeiten für die Abfrage
  • wichtig: selbst erstellte Sammlungen können unbegrenzt und ohne Folgekosten mit anderen Menschen (Familienmitgliedern, Freunden, Klassenkameraden…) geteilt werden
  • Inhalte können per Benutzerkonto am Computer und mobil verwendet und bearbeitet werden
  • die spielerischen Elemente sind nicht so ausufernd, dass sie unnötig viel Zeit verschlingen. Hauptfeature ist eine Art Memory, bei dem man schnell aus 12 Karten die richtigen Paare bilden muss. Das kann gerade für jüngere Schüler sehr motivierend sein, ohne allzu stark abzulenken.
  • je nach Bedarf kann es interessant sein, die Sammlungen der anderen Nutzer zu verwenden, um für Sachfächer zu lernen
  • für Lehrer gibt es viele Anregungen zum Einsatz im Unterricht

Contra:

  • Vokabelsammlungen muss man selbst erstellen, es gibt kaum zuverlässige Vokabellisten zu den verbreiteten Lehrwerken. Man kann das in der Browser-Version tun, es ist aber umständlicher als mit Flashcards Deluxe.
  • die Basisversion enthält Werbung; um sie loszuwerden und um auch eigene Bilder hochladen zu können, muss man 21,99€ jährlich investieren

Fazit:

Phase 6 bietet sich an, wenn man maximalen Komfort möchte und bereit ist, dafür einiges an Geld zu investieren.

Flashcards Deluxe ist die App der Wahl, wenn man auf optimale Funktionalität Wert legt und bereit ist, die Vokabeln einmal selbst abzutippen, anstatt viel Geld auszugeben. Wenn man mehr als nur Vokabeln mit Karteikarten lernen möchte, wird man früher oder später sowieso bei dieser App landen.

Quizlet ist eine Option für eher spielerisch orientierte und kreative Lerner, denen Effizienz weniger wichtig ist, die dafür mehr Wert auf den Austausch mit anderen Lernern legen und bereit sind, die Zeit zur Eingabe von Vokabeln zu investieren.

Aber: Wenn man genug Platz im Regal hat und aus verschiedenen Gründen weder in ein oder mehrere Smartphones sowie teure Wortschätze investieren will, sollte man beim echten Karteikasten bleiben. Ob man die Vokabeln selbst tippt oder auf Kärtchen schreibt, macht zeitlich kaum einen Unterschied, und in puncto Handhabbarkeit und Haltbarkeit sind Karteikarten nur schwer zu schlagen.