Nach dem Ausscheiden der deutschen Mannschaft aus der Fußball-WM wurde heftig geklagt, die hochbezahlten Profisportler hätten nicht genug Leistung gebracht. Völlig unpädagogisch hagelte es in der Presse Bewertungen wie „Schande“, „peinlich“ und dergleichen. Wo bleibt da die Einfühlung in das persönliche Bemühen? War denn nicht jeder (Fehl-)Schuss ein authentisches, subjektiv sinnhaftes Handeln, ein Ausdruck von Müllers „So-Sein“? Scheitert ein Gomez nicht einfach an einem unbarmherzigen System, das „Leistung“ zum Ideal erklärt und in Toren zu messen wagt, wo doch vielleicht in seinem Inneren das wahre Wesen des Fußballs zu suchen wäre, auch wenn wir uns in der Außensicht das Urteil anmaßen, er habe untätig auf dem Spielfeld herumgestanden? Sollte man nicht nach dem Motto „mit Kopf, Herz und Hand“ endlich die starren, altmodischen Regeln ändern und Hummels das Handspiel erlauben, wenn es mit dem Kopf nicht so recht klappen will?

Ironie Ende – Der Profifußball ist eine der letzten Bastionen des Professionalismus. Hier darf Leistung noch guten Gewissens gefordert werden, ohne dass man sich dem Vorwurf aussetzt, man messe Leistung zu Unrecht an objektiven Kriterien. In der Pädagogik ist das mitnichten so. Und eine Folge davon ist die zunehmende, aktuell wieder stark beklagte Entprofessionalisierung der Pädagogik.

Entprofessionalisierung in der Pädagogik geschieht nämlich nicht nur, weil der Staat versucht, Geld zu sparen. Sie entsteht auch aus Geringschätzung gegenüber fachlicher Autorität und Qualifikation. Die ist vielleicht sogar das größere Problem, denn Geldmittel bereitzustellen ist grundsätzlich rasch getan, während Einstellungen nur langsam verändert werden können.

In seinem aktuellen Rundschreiben erklärt der Berufsverband Heilpädagogik, es werde für ihn „mehr und mehr zur Aufgabe, De-Qualifizierungstendenzen im sozialen Dienstleistungsbereich entgegenzutreten“. Die Entprofessionalisierung oder De-Qualifizierung ist tatsächlich ein aktuelles Problem. Woher sollen denn die qualifizierten Lehrer, Erzieher oder auch Pflegekräfte kommen, deren Fehlen in den Medien immer wieder beklagt wird? Eine Nachqualifizierung über Nacht kann es nicht geben, und man versteht Berliner Eltern, die nicht möchten, dass Surflehrer oder Studenten ersatzweise an Schulen eingestellt werden. Aber etwas ist doch paradox, wenn man diese Woche die Berichterstattung über den Lehrberuf verfolgt hat: Einerseits war zu lesen, der Berliner Landeselternausschuss fordert, man möge den NC für Lehramtsstudenten herabsetzen, also die Anforderungen senken, um mehr junge Leute für ein Lehramtsstudium zu gewinnen. Andererseits zeigte diese Woche eine neue ifo-Studie, dass unabhängig von sehr vielen anderen Variablen genau die Lehrer den besten Unterricht machen, die selbst am besten in Deutsch und Mathematik sind.

Also sind diejenigen, die selbst die besten Schulleistungen erbringen, auch die besten Lehrer – wenn man den NC senkt, holt man zwangsläufig eine Menge schlechtere Lehrer in die Schulen. Die richtige Lösung wäre stattdessen, Anreize zu erhöhen, damit die besten Abiturienten nicht in die freie Wirtschaft gehen, sondern an die Schulen. Anzweifeln möchte ich diese Zusammenhang übrigens nicht, im Gegenteil. Erstens sind eigene gute Schulleistungen ein Beweis für Fleiß, Interesse, Selbstdisziplin und schlicht ein guter Grundstock an Wissen für die Fachdidaktik. Zweitens korrelieren Schulleistungen deutlich mit der Intelligenz, und ein gutes Eingehen auf individuelle Schüler erfordert, dass man im Hinterkopf behält, welche Fragen man welchem seiner 28 Schüler stellen muss, um genau dessen Zone der nächsten Entwicklung zu treffen. Zudem fordern Fehleranalyse und fachliche Durchdringung eine große Menge geistiger Verarbeitungskapazitäten. Und ganz banal gesagt war es mir schon immer ein Rätsel, wie Lehrkräfte gut unterrichten sollen, die nicht deutlich intelligenter sind als der Durchschnitt ihrer Schüler. Das gilt meines Erachtens erst recht in politisch gewollt zunehmend heterogenen Klassen, also in einer Unterrichtssituation, die ein noch höheres Maß an dauerndem, schnellem Erkennen der sehr verschiedenen Entwicklungsstände der Schüler und passendem Eingehen auf diese erfordert.

Die aktuelle Situation scheint mir, wie eingangs erwähnt, nicht primär ein Ressourcenproblem zu sein. Das Problem ist vielmehr ein Gesinnungswandel, dier die Geringschätzung gegenüber fachlichem Können befördert hat. Diese Geringschätzung führt nun in letzter Konsequenz dazu, dass unterqualifiziertes Personal in unglaublich wichtige, hohe Qualifikationen erfordernde Stellen gelangt.

Kern des Problems ist die Behauptung, in einer demokratischen Gesellschaft hätten alle Aussagen, egal von wem, das gleiche Gewicht.  In dieser Auffassung gibt es keine Experten oder Fachleute mehr, und folglich verdient fachliche Qualifikation auch keinen Respekt. Selbstverwirklichung, der eigene Ausdruck, das ist erstrebenswert – aber bitte immer schön gleichwertig. Ob man eine Zahl tanzen oder gut rechnen kann, soll keinen Unterschied machen; alles andere wäre ja Diskriminierung.

Aber gleiche Rechte zu haben bedeutet eben nicht, dass man auch gleichermaßen Recht hat. Doch dieser Standpunkt ist äußerst unpopulär in weiten Teilen der pädagogischen Diskussion. Eher hört man: Jedermanns Meinung ist so gut wie jede andere. Kein Wunder, dass vor diesem Hintergrund die Abschaffung von Leistungsbeurteilungen, von Zugangsbeschränkungen und Qualifikationen in Deutschland soviel Unterstützung findet. Zugegeben, es ist der Sache nicht dienlich, wenn Wissenschaftler im Veröffentlichungseifer unausgegorene oder gar geschönte Studien herausbringen, die wenige Monate später durch die Behauptung des Gegenteils ersetzt werden, oder wenn sich Fachleute den Widerlegungsversuchen des kritischen Rationalismus entziehen und stattdessen darauf pochen, jemand mit ihrer großen Erfahrung werde sich schon nicht irren. Aber dieses Problem wird man nicht lösen, indem man fachliche Autorität als Konzept verachtet. Denn mit dieser Verachtung hat auch die Wertschätzung für Leistung ein Ende, auf vielen gesellschaftlichen Ebenen.

Der Profi-Fußball ist, wie eingangs erwähnt, noch eine der wenigen Ausnahmen. Hier darf man noch guten Gewissens professionelle Leistung fordern und bei ihrem Ausbleiben herb enttäuscht reagieren. Doch wird sich bestimmt die Auffassung durchsetzen, dass man sich nur besser in „Die Mannschaft“ einfühlen müsse; ja, ihr aufrichtiges Bemühen und den individuellen emotionalen Ausdruck beim Danebenschießen höher bewerten müsse als das, pfui, quantifizierbare Ergebnis in Toren, die diskriminierende Wertungstabelle und das aussondernde, defizitorientierte Vorgehen mit Viertel- und Halbfinalspielen…

Allerdings hat meine Meinung wenig Gewicht, wenn man der verbreiteten Argumentation folgt – sie ist nach diesem Konzept lediglich meine individuelle, mir zugestandene, aber letztlich irrelevante Wahrnehmung. Bezahlt wird man auch nur selten dafür. Ich glaube, ich wechsle demnächst in die Bundesliga…