Der diagnostische Prozess & Dr. House – Teil 1

Heute tue ich etwas ungewöhnliches: Wenn ich im Kontext von Pädagogik über Medizin schreibe, ist mein Thema normalerweise die schädliche Medikalisierung erzieherischer Probleme und die Forderung, medizinische Denkweisen nicht mangels eigener Qualifikation blind zu übernehmen. Heute aber habe ich ein Vorbild für die förderdiagnostische Arbeit aus der Medizin – wenn auch nur aus der fiktiven TV-Medizin: Den diagnostischen Prozess von „Dr. House“ aus der gleichnamigen Fernsehserie. Er ist ein gutes Beispiel, um die Prinzipien des förderdiagnostischen Prozesses zu veranschaulichen und einige Aspekte anzusprechen, die in pädagogischen Settings diesen Prozess unnötig erschweren.

Es spielt im Folgenden keine Rolle, ob Sie den schrulligen, aber brillianten Diagnostiker mögen oder nicht. (Wir Sonderpädagogen sind verpflichtet, ihn toll zu finden, schließlich ist er als Krückenbenutzer ein „Mensch mit Behinderung“. Aber vielleicht sind Sie kein Sonderpädagoge ;-)) Ich will hier trotz allem weder Houses Vicodin-Missbrauch, noch sein Stammkundenverhältnis zu Prostituierten als vorbildlich darstellen – aber der diagnostische Ablauf in seinem Team zeigt den rationalistischen Prozess, wie ihn auch die Förderdiagnostik dringend erfordert, par excellence. Wenn mehr Pädagogen und Psychologen so arbeiteten wie House und sein Team (wie gesagt, abgesehen von Medikamentensucht und Promiskuität), würde die Förderdiagnostik enorm an Professionalität gewinnen.

Was zeichnet diesen rationalistischen Prozess im Sinne Karl Poppers aus? Das hervorstechendste Merkmal, das sich in fast jeder Folge der Serie ausgezeichnet beobachten lässt, ist das Wechselspiel aus genauem Beobachten, dem Aufstellen von Hypothesen und den Widerlegungsversuchen durch Argumente und praktische Überprüfung. In der Regel läuft der diagnostische Prozess nach einem festen Schema ab, das ich in mehreren Beiträgen erläutern werde. Alles beginnt mit der

Beobachtung:

Ein Patient wird mit schweren Symptomen A und B eingeliefert. Das Team beobachtet diese Symptome (körperlich und/oder Verhaltensweisen) und hält sie nüchtern beschreibend fest.
Eine umfassende Patientenakte mit Laborwerten, früheren Behandlungen, biographischen Daten etc. wurde bereits vor der ersten Teamsitzung von allen Teammitgliedern gelesen und Dr. House erwartet, dass bei der erste Besprechung alle Mitglieder deren Inhalte auswendig kennen und sich von nun an verlässlich auf sie beziehen können. Das ist in der Regel auch der Fall.

Die Sachlichkeit und Abwesenheit von platonistisch-idealistischen Diskussionen über Sprache fällt hier bereits im Kontrast zu manchem pädagogischenTeamgespräch stark auf. Säßen Sonderpädagogen mit am Tisch, würde vermutlich erst einmal darüber diskutiert, ob die Bezeichnung „Eisenmangel“ nicht ein zu defizitorientiertes Konzept beinhaltet…
Typischerweise notiert Dr. House für die gesamte Dauer des diagnostischen Prozesses die akuten Symptome und die aktuell angenommene Arbeitshypothese fortlaufend an seinem Whiteboard, das sein einziges und zentrales Arbeitsmittel (außer seinem eigenen Kopf) ist. Schon die Nüchternheit und Sachlichkeit des Vorgehens bis hierher ist wesentlich verschieden von ähnlichen Situationen im pädagogischen Alltag.

Im nächsten Schritt, der Aufstellung und Widerlegung von Hypothesen, wird der Unterschied noch schärfer hervortreten – mehr dazu nächste Woche! Hier geht es zu Teil 2 der Serie.

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