Ein typischer Förderbeginn: morgens meldet sich eine Mutter am Telefon…

Mein Sohn Björn ist in der fünften Klasse und hat sehr große Probleme mit dem Recht­schreiben. Björn hat schon gar keine Lust mehr in die Schule zu gehen. Seit einem Jahr bekommt er Nachhilfe. Das hat zwar etwas geholfen, aber er schreibt in Diktaten immer noch Fünfen oder Sechsen. Wir sind schon alle ganz verzweifelt und wissen nicht mehr, was wir machen sollen.

Wir beginnen die Förderung mit einer exakten Rechtschreibdiagnose anhand der OLFA (Ol­den­burger Fehleranalyse). Das heißt, wir erheben auf der Grundlage von Texten, die Björn in der Schule oder zu Hause geschrieben hat, seine ortho­graphische Kompetenz und Leistung. Dazu benötigen wir etwa 350 Wörter aus neueren Texten. Björn hat noch zwei Aufsätze aus den vergangenen Wochen im Ranzen, die eignen sich dazu hervorragend. Wir kopieren uns die Aufsätze und suchen dann alle Schreibfehler, die darin enthalten sind. Anhand der OLFA-Auswertungsbögen ordnen wir diese Fehler nun in Gruppen. So wird bald ersichtlich, welche Themen wir mit Björn besonders intensiv nachbereiten müssen, weil er sie offenbar noch nicht beherrscht. Björn macht jetzt nicht mehr einfach „viele Fehler“, sondern wir können mit ihm darüber sprechen, warum er welche Fehler macht.

Zusätzlich bekommt Björn eine kleine Übersicht zu verschiedenen Rechtschreibthemen vorgelegt. Er soll die drei Bereiche ankreuzen, die ihm seiner Meinung nach am meisten Probleme berei­ten. Warum fragen wir das Kind nach seinen Fehler­schwer­punkten? Weil es wichtig ist, ob Björn schon weiß, wo seine orthographi­schen Stärken und Schwächen sind. Wenn er es weiß, dann ist schon viel gewon­nen. Weiß er es dagegen nicht, dann muss er es gesagt bekommen. Bevor Björn etwas verändern kann, muss er wissen: „Das sind also die Bereiche, auf die ich be­sonders aufpassen muss.“ Keinem Kind hilft es, wenn man ihm bloß sagt: „Pass in Deutsch besser auf!“.

Das ist in zweierlei Hinsicht etwas Besonderes.

Ohne Fehleranalyse keine Förderung!

Erstens liegt viel zu oft bei der Diagnostik von Rechtschreibproblemen das Augenmerk auf der Frage, ob das Kind denn „offiziell“ Legastheniker sei. Man hat nur den „Nachteilsausgleich“ im Blick, fokussiert oft einseitig auf die damit verbundene Notenbefreiung, obwohl die Förderung das Wichtigere ist. Ohne Fehleranalyse zu Beginn der Förderung und ohne regelmäßige Fehleranalyse als Verlaufskontrolle taugt eine Legasthenietherapie nichts, da dann lediglich aufs Geratewohl gearbeitet wird.

Ergo: Wenn man Kindern mit Rechtschreibproblemen helfen will, reicht es in keinem Fall, ihre Fehler einfach zu zählen oder auszurechnen, wieviele von 100 Wörtern sie im Schnitt falsch schreiben etc. Es ist unerlässlich, festzustellen, welche Zusammenhänge bzw. Rechtschreibregeln das Kind nicht beherrscht.

Meist gehen Eltern, Lehrer und auch einige Nachhilfelehrer oder Lerntherapeuten dann so vor, dass sie die Rechtschreibregeln als erstes bearbeiten, die auch für die größte Fehleranzahl verantwortlich sind. Sind z.B. 40% der Fehler Fehler in der Groß- und Kleinschreibung, beginnt man oft hier, denn beherrscht das Kind anschließend die Regel, macht es logischerweise bis zu 40% weniger Fehler und erhält bessere Noten. Das funktioniert ganz gut, wenn die Fehler hauptsächlich die selteneren Schreibungen betreffen; das, was man als Ausnahme oder im Konzept von Thomé als „Nebenschreibungen“ mit „Orthographemen“ bezeichnet. Dehnung, Doppelung, Groß- und Kleinschreibung gehört in diese Kategorie. Eine sehr gute Übersicht zu diesen selteneren Schreibungen finden Sie übrigens als Poster und A4 Merkkarte bei uns im Shop.

Bei schweren Rechtschreibproblemen muss man die Fehler nach Entwicklungsphasen ordnen – hier hilft die OLFA

Dieses Vorgehen genügt jedoch nicht, wenn Schüler noch viele Fehler machen, die die Lautgestalt des Wortes entstellen, wenn also das Wort, das sie schreiben, gar nicht so klingt wie das gemeinte Wort. Im DRT wird dies als „Wahrnehmungsfehler“ bezeichnet, in Thomés Konzept werden sie differenzierter als Fehler im Bereich der „Basisschreibungen“ und „Basisgrapheme“ eingeordnet. Schüler, die sowohl viele Fehler in diesem Bereich als auch in den Nebenschreibungen machen, haben in aller Regel schwere und hartnäckige Rechtschreibprobleme. Ihnen kann man nur sinnvoll helfen, wenn man ihre Fehlerquellen in der richtigen Reihenfolge angeht, sonst werden sie überfordert und demotiviert. Der Förderung fehlt sonst auch der rote Faden. Legasthenietherapie ist nichts anderes als sorgfältiges Nach-Unterrichten, und das muss sachlogisch unbedingt Hand und Fuß haben, um erfolgreich zu sein. Dabei hilft das Konzept von Basis- und Nebenschreibungen sehr, das der OLFA zugrunde liegt, denn es zeigt, welche Einsichten in die Rechtschreibung zuerst erworben werden müssen (Basisschreibungen), ehe man sich sinnvoll den selteneren Phänomenen (Nebenschreibungen) zuwenden kann. Wer z.B. nicht hört, ob ein Vokal kurz oder lang klingt, wer nicht verstanden hat, dass wir nicht für 1 Laut 1 Buchstaben schreiben sondern für jeden Laut ein Schreibzeichen aus einem oder mehreren Buchstaben, wird mit der Regel zu Dehnung und Doppelung nichts anfangen können. Hierbei hilft die Fehleranalyse der OLFA.

Aufbau der Förderung nach dem Basiskonzept: Vom Einfachen und Häufigen zum Schwierigen und Seltenen

Björn, von dem wir eingangs berichtet haben, schreibt z.B. den Satz „Da fährt das Rad“ so:

DAFT DAS SNELERAD

Der richtig geschriebene Satz „Da fährt das Rad“ enthält (wie jeder normale Satz) sowohl Basis- als auch Nebenschreibungen. Wenn man die Basisschreibungen beherrscht, kann man die im folgenden grün gefärbten Bestandteile dieses Satzes richtig schreiben: Da fährt das schnelle Rad. Die Teile, die hier noch grau sind, kann man mit dem Basiswissen noch nicht richtig schreiben – das sollte man von Björn also in der ersten Phase der Förderung auch noch nicht erwarten! Für Björn ist es trotzdem eine große Verbesserung, wenn er nach einigen Monaten schreibt:

Da fert das schnele Rat

Er hat nun alle Basisschreibungen richtig geschrieben und somit beachtlich viel dazugelernt! Um die Stellen, die im folgenden Satz rot sind, richtig zu schreiben, muss er noch drei große Themen der Nebenschreibungen verstehen und üben: In „Da fährt das schnelle Rad“ muss er für das „d“ von Rad die Auslautverhärtung beherrschen (Material hierzu bei uns im Shop!), für das „äh“ von „fährt“ die Dehnungsregeln und für das „ll“ von „schnelle“ die Doppelungsregeln. Das sind schwierige Regeln, die Kinder mit großen Rechtschreibproblemen erst in einer zweiten Phase der Förderung erlernen können, nämlich nachdem sie ein Verständnis von langen und kurzen Lauten und ein Konzept von Graphemen und Wortbausteinen erworben haben.

Förderung mit der OLFA: Motivierendes freies Schreiben plus regelmäßige Verlaufskontrolle

Kommen wir wieder zurück zu unserem Förderablauf. Björn erfährt nach der Auswertung seiner Texte anhand einer ausgefüllten OLFA-Liste, wo er noch in der Rechtschreibung unsicher ist und wo er deshalb Hilfe braucht. Wenn man schon einige Jahre in der Schule war und so schwach in der Rechtschreibung ist wie Björn, ist es besonders wichtig, die letzten glimmenden Reste an Motivation nicht zu ersticken, sondern nach und nach Freude am Schreiben zu entfachen. Schließlich lesen diese Kinder in der Regel auch noch nicht in Sprechgeschwindigkeit, daher weniger gern und weniger häufig, so dass auch Liebe zu Büchern nicht als initialer Anknüpfungspunkt dienen kann. Die Förderung mit der OLFA sieht daher zwei besonders motivierende Elemente vor: Das „Geschichtenbuch“, in dem nie Fehler angestrichen werden dürfen, und die „Besser-Liste“, in der die Fortschritte der Kinder dokumentiert werden.

Schreibförderung im Rahmen der OLFA: Das Geschichtenbuch

Bevor Björn nun einmal wöchentlich in die Einzelförderung kommt, bitten wir seine Eltern, ihm ein schönes (bemaltes, beklebtes) Heft oder Blanko-Buch, das sog. Geschichtenbuch, zu kaufen. Die Kinder sollen regelmäßig Geschichten in dieses besondere Buch schreiben. Abhängig von ihren individuellen Interessen schreiben sie über ihr Hobby, ihren Tages- oder Wo­chen­ablauf, sie denken sich Fantasiegeschichten aus, können aber auch etwas aus Büchern zusammenfassen oder Witze aufschreiben.

Je nach Vorerfahrung sind unterschiedlich hohe Barrieren und Schreibhindernisse zu überwinden. Manche Kinder schreiben von Anfang an gerne. Bei anderen dauert es eine Weile, bis sie ihr Thema und ihren Stil gefunden haben und sie brauchen am Anfang etwas Ermutigung und ein paar gute Tipps, über was sie schreiben kön­nen. Aber wichtig ist für alle Schüler die Gewissheit, dass niemand (!) in ihren Texten herumstreicht und nach Fehlern sucht. Das Geschichtenbuch des Kindes ist für Fremdkorrekturen tabu. Es wird also nichts hineingeschrieben, verbessert oder (noch schlimmer) mit Rotstift markiert. Wenn ein Text analysiert wird, dann anhand von Kopien. Würden Sie gerne ein Hobby pflegen, wenn laufend jemand ankommt und immer nur kritisiert: „Da sind aber noch viele Fehler! Das da, das geht so nicht. Du musst noch das und das machen. Warum hast du …? Warum hast du nicht?“ Kann dann noch irgendetwas Spaß machen? Es muss sich also jeder an­stren­gen: das Kind, damit es sich an das Schreiben gewöhnt und wir, indem wir uns in Zurückhaltung üben.

Da in der Förderung viel über die Geschichten und Texte – nicht nur in orthographischer Hinsicht – geredet wird, sehen die Kinder die Notwendigkeit des Schreibens schnell ein. Außerdem kommt mit den Wochen und Monaten, wenn sich das Heft oder Buch allmählich mit Geschichten füllt, ein berechtigter Stolz hinzu, zuerst auf die Quantität der Texte und später immer mehr auf die Qualität.

Verlaufskontrolle im Rahmen der OLFA: Die Richtig-Tabelle

Aber die Kinder brauchen nicht nur Lob, Hilfe und Zurückhaltung, sondern auch einen echten Beweis, dass sich ihre Schreibmühe lohnt und sie in der Recht­schrei­bung wirklich vorankommen. Als objektive Bestätigung dient die orthographische Lernkurve. Dazu wird jeder Text aus dem Geschichtenbuch kopiert und analysiert. Dann wird der Lernstand des Kindes anhand eines „Lern- oder Fehlerquotienten“ (Fehlerzahl multipliziert mit Hundert und geteilt durch die Anzahl der geschriebenen Wörter) in eine OLFA-Langzeittabelle von Woche zu Woche eingetragen. Immer wenn mehrere Texte beisammen sind, erstellt man eine Zusammenfassung, die aus etwa 350 bis 500 Wörtern besteht. Nur die Werte dieser Zusammenfassungen wer­den in der Tabelle mit einer Linie verbunden. So entsteht eine individuelle orthogra­phi­sche Lernkurve. Warum ist es besser, nur die Zusammenfassungen mit einer Linie zu verbinden? Weil Textqualität und -quantität normalerweise von Woche zu Woche schwanken und dadurch würde ein unübersichtliches Zickzackmuster ent­stehen.

Der Inhalt der einzelnen Fördersitzungen orientiert sich am individuellen orthogra­phi­schen Lernstand des Schülers. Da das „Basiskonzept Rechtschreiben“ von einer Stufung der orthographischen Kompetenzen ausgeht, wird entsprechend über Fehleranalysen der Lernstand des einzelnen Schülers ermittelt und genau dort angesetzt, wo er noch Probleme hat. Björn bekommt also wöchentlich individualisierte Rückmeldungen zu seinem Lernstand und auf diesen abgestimmte sprachstatistisch richtige und lernpsychologisch verständliche und relevante Lernangebote. Dabei steht das Erklären und gemeinsame Unter­suchen der Orthographie vor einem Abfragen und Prüfen.

Konkret bedeutet das, dass wir mit Björn, wenn er noch große Probleme mit der lautgetreuen Verschriftung von Wörtern hat, auf gar keinen Fall schon die sel­te­neren Nebenschreibungen (= Orthographeme) üben. Zuerst muss immer ein solides Gerüst aufgebaut und gefestigt werden.

Gegen diesen wichtigen päda­gogisch-didaktischen Grundsatz wird leider sehr oft zum Schaden der Schreiblerner verstoßen. Mit einem Kind, das z. B. schreibt:

Ich din an mitwo zu ein feunt gegan
Ich bin am Mittwoch uu einem Freund gegangen,

werden auf keinen Fall schon übergeordnete Lerninhalte (wie die Verdoppelungs- und Längenschreibung, die Groß-/ Kleinschreibung oder die Getrennt- und Zusam­menschreibung) geübt. Eine gute Methode, um dem Kind auf dieser ersten Stufe seine Fortschritte zu verdeutlichen, ist das Führen einer „Richtig-Tabelle“. Diese Tabelle (parallel dazu führen wir eine Langzeittabelle) erscheint vielleicht als etwas umständlich, aber für die Kinder ist es wichtig, jeden Fortschritt deutlich erkennen zu können. Die „Richtig-Tabelle“ stellt einen Ausschnitt der Fehleranalyse dar, die die Lehrkraft regelmäßig wie oben beschrieben durchführt. In der „Richtig-Tabelle“ wird für den Schüler seine Entwicklung in der einen Rechtschreibregel, an der er zur Zeit arbeitet, dokumentiert. Hier macht er die meisten Fortschritte, und dieser Ausschnitt aus seiner Gesamtentwicklung ist daher der für ihn relevanteste und motivierendste. Das ist besonders wichtig, da in der Schule Verbesserungen manchmal nur marginal auffallen, da dort ja dauernd alle Rechtschreibregeln gefordert sind. Ohne diese Ausschnitts-Betrachtung würden manche Schüler ihre Fortschritte selbst kaum bemerken. Für Björn würde die Tabelle z.B. Anfangs so aussehen (natürlich kann man sie auch in eine Graphik verwandeln und so noch besser veranschaulichen):

 Datum/TextAnzahl der   WörterAnzahl der zu schreibenden LauteAnzahl der     lautlichen    Fehlerlautliche    Fehler in % lautliche Richtig- Schreibungen in %
1.4.2020350105042040
60

1.5.2020
400
1200384
32
68
1.6.2020
400
1200216
18
82
Beispiel für eine Richtig-Tabelle

Wenn Sie als Lerntherapeut oder Lehrkraft mit der OLFA arbeiten möchten, finden Sie ab sofort hier bei uns im Shop die OLFA 1-2 für Erste und Zweite Klasse sowie die OLFA 3-9 für die dritte bis neunte Jahrgangsstufe. Unser eigenes Sortiment an einfachen „Spalten Falten“-Rechtschreibübungen in enger Anlehnung an Thomés Basiskonzept wird außerdem stetig erweitert, für die lautliche Ebene (z.B. kurze Vokale) und das Thema „Auslautverhärtung“ sind bereits günstige Downloads als Privat- oder Schullizenz erhältlich. Wir wünschen Ihnen und Ihren Schützlingen viel Erfolg beim Lernen!

Ein gemeinsamer Artikel von Miriam Stiehler und Dorothea Thomé.

Literatur:

Comenius, J. A. (1992): Große Didaktik (1657). Übers. und hrsgg. v. A. Flitner. 7. Aufl. Stuttgart: Klett-Cotta.

Schulte-Körne, G., Thomé, G. (2007) (Hrsg.): LRS – Legasthenie: interdisziplinär. Oldenburg: isb.

Thomé, G. (2019): Deutsche Orthographie: historisch, systematisch, didaktisch. 2. Auflage. Oldenburg. isb.

Thomé, G.; Thomé, D. (2017): OLFA 3–9 (Oldenburger Fehleranalyse). Instrument und Handbuch zur Ermittlung der orthographischen Kompetenz aus freien Texten ab Klasse 3 und zur Qualitätssicherung von Fördermaßnahmen. 5. Auflage. Oldenburg: isb.

Thomé, D.; Thomé, G. (2019): OLFA 1–2 (Oldenburger Fehleranalyse für die Klassen 1 und 2). Handbuch und Instrument. 5. Auflage. Oldenburg: isb.