Zugegeben, es ist nur einer Fernsehsendung – dennoch gibt es hier für Pädagogen manches zu lernen. Zum Beispiel, wie wichtig gerade in sozialen Berufen eine nüchterne Distanz zum Klienten ist und dass man manchmal riskieren muss, sich unbeliebt zu machen.

Bei Dr. House wird in jeder Folge deutlich, dass seine Arbeit nur gelingt, wenn sich die Kraft und Konzentration der Teammitglieder intensiv und primär auf die möglichen Erklärungen richtet. Das breite und tiefe Vorwissen der Teammitglieder über Störungen, deren Ursachen und Funktionen; ihre Fähigkeiten zum logischen Schließen und ihre praktischen Fertigkeiten (Testverfahren, Labor etc.) sind ausschlaggebend für den Behandlungserfolg – nicht ihre Softskills. Trotz aller wichtigen Unterschiede zwischen Medizin und Heilpädagogischer Psychologie geht es hier um den logischen Prozess, um die Denkungsart. Daher ist dies ein Punkt, der sich für Pädagogen besonders zu bedenken lohnt –  gerade weil ihm die verbreitete irrationale Sentimentalität in unserem Fach zuwiderläuft. Die in der Pädagogik (wie auch in der Medizin) notwendige Liebe zum Mitmenschen erfordert eine logisch saubere, nüchterne Vorgehensweise. Diagnostische Gründlichkeit ist anstrengend, aber diese Anstrengung darf ein guter Pädagoge nicht scheuen. Ich will nicht sagen, dass die moderne Medizin es nicht bisweilen an Fürsorge und Achtsamkeit fehlen ließe. Aber hier geht es mir ganz wesentlich um die Sorgfalt im Prozess von Diagnostik und Hilfeleistung, und die wird in der pädagogischen Psychologie allzu stiefmütterlich behandelt. Auf die Praxis bezogen: Lieber ein Jahr lang Förderung durch einen Pädagogen, dessen Hilfe nach diesem Jahr zu einer Überwindung einer Lese-Rechtschreibschwäche geführt hat, als ein Jahr lang gefühliges Kuscheln oder esoterische Offenbarungen, die nur zur einer Verfestigung der Probleme führen und die Lebensperspektive und den Bildungszugang prekär belassen. Lieber eine Ausbildung, die den Studierenden zumutet, eine Menge an Faktenwissen auswendig parat haben zu müssen, als eine, die einer mehrjährigen Diskussion am WG-Küchentisch gleicht, bei der die Gastgeber trotz aller „Offenheit“ de facto sehr strenge Denktabus und Sprachzensur pflegen.

In diesem Kontext ist es bemerkenswert, dass die Protagonisten bei Dr. House ihre schlimmsten Misserfolge dann erleiden, wenn sie ihre eigenen Emotionen nicht im Sinne selektiver Authentizität aus ihrer Arbeit heraushalten, oder wenn sie die professionelle Distanz verlassen, weil sie vermeintliche Parallelen zu ihren eigenen Problemen beim einem Patienten entdecken. Dr. Cameron versucht, Beziehungen von Patienten durch Manipulationen zu kitten, versteht aber die Beweggründe der Beteiligten aus Sentimentalität falsch, da sie ihre eigenen romantischen Ideen vom grundguten Menschen auf die Patienten projiziert. Dr. Chase ruiniert seine Ehe, seine moralische Integrität und seine persönliche Zufriedenheit, weil er sich zum als Fehlbehandlung getarnten Mord an einem im Krankenhaus eingelieferten südamerikanischen Diktator hinreißen lässt.

Ich will nicht sagen, dass eine fiktive Serie mit einer Menge seelisch stark beschädigter Figuren ein Lehrbuch professioneller Beziehungsgestaltung sei. Aber die Erfahrung, dass zu viel Nähe den förderdiagnostischen Blick trübt, hat jeder selbstkritische Förderdiagnostiker gemacht. Eine gewisse Dosis kritischer Distanz ist für redliche diagnostische Arbeit unabdingbar – gerade aus Liebe zum Menschen. Ich rede hier nicht von vom Erzieher-Zögling-Verhältnis, dessen Bindungsaspekt ein ganz anderes Thema ist. Ich rede vom förderdiagnostischen Setting, das eben nicht immer in eine enge Erziehungssituation übergeht, sondern in dem zum Wohle des Kindes häufig entscheidend ist, wie erfolgreich wir die Eltern einbeziehen.

In der Erziehung wie auch in der Elternberatung schadet es, eine autoritativ und verantwortungsbewusst verstandene Führungsrolle zugunsten eines bloßen Mitbewohner- oder Kumpelverhältnisses aufzugeben. Dr. House hält sich gerade aus diesem Bewusstsein heraus sogar mit Besuchen der Patienten zurück, um eben nicht so stark persönlich involviert zu werden, dass dies seine Urteilsfähigkeit trüben oder seine Entscheidungskraft einschränken könnte. Als Förderdiagnostiker wird man immer wieder in die Situation kommen, auch einmal unbequeme Themen anzusprechen, um Gewohnheiten zu verändern. Manchmal muss man riskieren, sich unbeliebt zu machen, indem man eine egoistisch motivierte Fehleinschätzung widerlegt, eine liebgewonnene Selbsttäuschung beendet. Nicht alle Eltern nehmen die wahrheitsgemäße Aufklärung sofort freudig zur Kenntnis, dass hunderte Euro für Kinesiologie, Bachblüten und Heilsteinbehandlungen nicht nur verschwendetes Geld waren, sondern die Legasthenie ihres Kindes durch Verschleppung noch verschlimmert haben. Wenn man sich aus emotionaler Nähe zum Klienten scheut, diese wichtigen Fakten wahrheitsgemäß und deutlich (was nicht bedeutet: taktlos oder unsensibel) anzusprechen, dann wird man seiner Aufgabe nicht gerecht und hat den Bereich professionellen Arbeitens verlassen. Wie leicht das in der Praxis geschieht, schildere ich nächste Woche im letzten Teil dieser Reihe anhand eines Fallbeispiels.

 

Dieser Artikel ist Teil eine Serie. Die weiteren Teile dieser kleinen Reihe über Dr. House für Pädagogen finden Sie hier:

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