Neben Sorgen und organisatorischen Herausforderungen fragen sich Eltern angesichts der präventiven Schulschließungen, wie sie einen allzugroßen Lernrückstand der Kinder verhindern können. Schließlich sind drei Wochen Unterrichtsentfall plus zwei Wochen anschließende Ferien keine Kleinigkeit. In Bayern hat das Kultusministerium angekündigt, die Schüler würden Material für das häusliche Lernen erhalten; noch ist aber völlig unklar, auf welchem Wege das geschehen soll. Die Digitalisierung des Unterrichts steckt hier, wo sie sinnvoll wäre, noch in den Kinderschuhen.

Wir haben für Sie einige Anregungen aus unserem Blog zusammengestellt, um die kommenden Wochen für Lernfortschritte zu nutzen. Auch in unserem Shop finden Sie Material zum häuslichen Lernen, die Downloads sind sogar innerhalb weniger Minuten für Ihre Kinder einsatzbereit. Drei bzw. fünf Wochen schulfrei sind in gewisser Hinsicht auch eine Chance, Lernthemen anzupacken, die im Schulalltag unter den Tisch fallen. Wie wäre es z.B. mit einem gezielten Lesetraining oder dem Aufholen von Vokabeln? Hier kommen unsere Vorschläge:

Vorschlag 1: Machen Sie ein 30-Tage-Lesetraining

Ihr Kind liest unsicher und daher ungern? Fünf Wochen sind Zeit genug, um mit etwas Übung das Lesetempo zu verdoppeln! Das wäre doch ein toller Erfolg. Wenn Sie dieses Ziel erreichen möchten, können Sie folgendermaßen vorgehen:

  1. Messen Sie, wie schnell Ihr Kind überhaupt liest. Eine Anleitung dazu finden Sie hier. Ob Ihr Kind damit altersentsprechend liest, können Sie in dieser Übersicht nachsehen. Das Ergebnis ist Ihr Ausgangswert und die doppelte Zahl Ihr Ziel für die nächsten 30 Tage. Nach unserer Erfahrung können sehr viele Kinder mit dem folgenden Übungsplan ihre Lesegeschwindigkeit verdoppeln, konsequentes Üben vorausgesetzt. Wenn Sie beim Lesetest feststellen, dass Ihr Kind Probleme mit der Unterscheidung langer und kurzer Vokale hat oder einzelne Buchstaben noch nicht sicher beherrscht, dann sollte es punktuell genau diese Laut-Zeichen-Verbindungen neu lernen. Dabei kann die lautrichtige Lesetabelle und das dazugehörige Übungsmaterial helfen.
  2. Beginnen Sie mit dem täglichen Lesetraining. In unserer Praxis hat sich folgender Ansatz aus drei täglichen Bausteinen bewährt. Sie müssen täglich 1 Unterrichtsstunde, also 45 Minuten, dafür einplanen.
    1. Täglich 5 Minuten Aufwärmtraining für die Blickspanne und Konzentration, z.B. im grünen Heft aus dem Set „Lesen – Das Training 2./3. Klasse“ bzw. ab 4. Klasse oder mit dem IntraAct-Material.
    2. Anschließend 10 Minuten Training zum möglichst schnellen oder genauen Lesen. Dabei wird der selbe Text drei bis fünf Mal hintereinander gelesen, und zwar entweder so schnell wie möglich oder so fehlerlos wie möglich. Die Zeit wird gestoppt und notiert, wenn das Ziel Schnelligkeit war, die Fehleranzahl wird notiert, wenn das Ziel Genauigkeit war. Hierfür sind die blauen Hefte aus aus dem Set „Lesen – Das Training 2./3. Klasse“ bzw. ab 4. Klasse ideal. Sie können aber auch Gedichte oder eine einzelne Seite aus einem Kinderbuch verwenden. Was auch immer Sie benutzen, der Text sollte für diese Übung nicht länger als 150 Wörter sein, bei langsamen Lesern eher 100 Wörter, denn sonst dauert die Übung zu lange pro Durchgang (Faustregel: Textlänge in Wörtern = aktuelle Lesegeschwindigkeit in WPM x 2 + 15 Wörter).
    3. Der längste Teil ist die tägliche Übung im ausdauernden, genussvollen Lesen: 30 Minuten Lektüre in einem richtig schönen Kinderbuch. Allerdings sollte sich auch hierbei Ihr Kind immer wieder selbst daran erinnern, schnell zu lesen und nicht in Gedanken abzuschweifen, zum Fensterhinauszuschauen etc., sondern fest am Text zu bleiben. Wählen Sie dazu ein gutes (!) Kinderbuch in eher kleiner Schrift und mit möglichst wenig Bildern. Wir empfehlen gerne die Bücher von Roald Dahl, Erich Kästner und anderen bewährten Autoren, denn nur literarisch hochwertige Bücher wecken eine Liebe zum Lesen. Gesammelte Buchtipps finden Sie übrigens hier in der Kinderbibliothek. An 1-2 Tagen pro Woche können Sie auch das Lesetraining mit Hörbüchern ausprobieren, wenn Sie die audible-App besitzen und das Vorlesetempo so an das aktuelle Lesetempo des Kindes anpassen können. CDs funktionieren nur gut für Kinder, die selbst bereits annähernd in normaler Sprechgeschwindigkeit lesen. In der audible-App stellen Sie das Tempo so ein, dass es ganz leicht über dem aktuellen Lesetempo des Kindes liegt. So „zieht“ das Vorlesen das Kind beim Selbstlesen mit und bewirkt eine Steigerung der Lesegeschwindigkeit. – Wichtig ist in jedem Fall, dass Sie Ihr Kind nur dann laut lesen lassen, wenn es das unbedingt möchte. Kinder, die noch langsamer als etwa 70 WPM lesen, ziehen selbst oft das laute Lesen vor, da sie die auditive Schleife noch benötigen. Zwingen Sie Ihr Kind aber nicht zum lauten Lesen; das stille lesen ist die bessere Übung, denn dabei kann sich Ihr Kind besser in die Geschichte versenken. Außerdem ist letztlich ja das genussvolle stille Lesen das Lernziel und nicht primär die Tätigkeit des Vorlesens. Laut gelesen wird nur bei der wöchentlichen Überprüfung:
  3. Überprüfen Sie den Fortschritt. Messen Sie einmal pro Woche erneut die aktuelle Lesegeschwindigkeit Ihres Kindes wie in Schritt 1. Benutzen Sie dazu das Buch, das es gerade sowieso liest. Notieren Sie den Wert und freuen Sie sich mit Ihrem Kind über jede Steigerung.
  4. Für Jugendliche ab etwa 15 Jahren sowie für Erwachsene, die ihr Lesetempo steigern wollen, empfiehlt sich ein vorgefertigtes 30tägiges Training. Bewährt sind zwei Ansätze: „Schneller lesen – besser verstehen“ enthält deutlich mehr Erklärungen als Übungen, ergibt aber dennoch ein vollständiges Training und informiert sehr umfassend über schlechte Lesegewohnheiten und über die Jahre eingeschliffene Lesefehler. „Optimales Lesen“ ist seit Jahrzehnten bewährt und inzwischen von 30 auf 25 Tage gekürzt; das ist mein persönlicher Favorit. Es enthält alle wichtigen Informationen in knapper Form und konzentriert sich auf tägliche Übungen, die im Wortschatz am typischen Büroumfeld orientiert sind. Für beide Trainings ist die tägliche Lektüre eines selbstgewählten Romans zusätzlich erforderlich, ähnlich wie in Schritt 3 für Kinder beschrieben.

Vorschlag 2: Lassen Sie Ihr Kind Rückstände bei Vokabeln aufholen

Ihr Kind lernt eine Fremdsprache oder sogar mehrere? Dann sind die nächsten Wochen der Schulschließungen der ideale Zeitraum, Rückstände im Wortschatz aufzuholen. Das wird sich in den verbleibenden Monaten des Schuljahres auszahlen! So gehen Sie vor:

  1. Übungsbedarf feststellen: Nehmen Sie das entsprechende Schulbuch zur Hand und fragen Sie alle bisherigen Wortschätze ab. Sehr ehrliche ältere Schüler können das natürlich auch alleine machen. Decken Sie das fremdsprachige Wort ab und fragen Sie nach der Übersetzung des deutschen Begriffs, nicht umgekehrt. Entscheidend ist: Alle Wörter, die nicht wie aus der Pistole geschossen genannt werden (d.h. in weniger als 1 Sekunde), haben Übungsbedarf. Außerdem sollten sie korrekt buchstabiert werden können; auch ein „bekanntes“ Wort, das man nicht richtig schreiben kann, bedarf der Wiederholung. Markieren Sie die entsprechenden Wörter – das ist die zu wiederholende Menge.
  2. Entscheiden Sie sich für die Methode, mit der Ihr Kind arbeiten soll. Sie finden über diese Links ausführliche Informationen zu den Vor- und Nachteilen der folgenden Methoden:
    1. Arbeit mit dem Vokabelheft
    2. Lernen mit dem Karteikasten
    3. Vokabellernen mit Apps

Vorschlag 3: Verbessern Sie die Rechtschreibung

Wenn die Schule ausfällt, sind Sie frei von der lehrerbestimmten Themenwahl. Sie könnten die Zeit nutzen, um sich auf ein bis zwei Rechtschreibthemen zu konzentrieren, die im aktuellen Schulstoff nicht vorkommen, aber Ihrem Kind immer wieder Schwierigkeiten bereiten. Wenn ein Kind nämlich eine ganz bestimmte Rechtschreibregel nicht beherrscht und dies 30% seiner Fehler verursacht, heißt das im Umkehrschluss: Wenn es diese Regel zu beherrschen lernt, macht es 30% weniger Fehler! Es lohnt sich also, die Fehler genauer anzusehen und gezielt zu üben anstatt mit beliebigen Diktaten oder Übungsheften. So gehen Sie vor:

  1. Sehen Sie sich die letzten Klassenarbeiten, Aufsätze und Hefteinträge Ihres Kindes an und die darin enthaltenen Fehler. Hier gilt ausnahmsweise einmal: Je mehr Fehler, desto besser! Denn die Fehler sind das interessante. Wenn Ihnen nicht genug Texte vorliegen, diktieren Sie Ihrem Kind 1-2 Seiten aus einem altersgemäßen Kinderbuch.
  2. Ordnen Sie die Fehler nach Kategorien. Eine Anleitung dazu finden Sie in diesem Artikel.
  3. Wählen Sie ein Rechtschreibthema aus, das laut Ihrer Liste sehr viele Fehler ausmacht. Besprechen Sie anhand des Schulbuchs oder eines guten Regelwerks wie dem Kinderduden die entsprechende Regel mit Ihrem Kind. Dort finden Sie einige entsprechende Übungen. Scheuen Sie sich nicht, die Lehrkraft Ihres Kindes zu kontaktieren und um mehr Übungsmaterial zu genau dieser Regel zu bitten. In Bayern haben die Lehrkräfte auch während der Schulschließungen Dienstpflicht, sie sind und bleiben Ihre ersten Ansprechpartner für die Lernentwicklung und individuelle Förderung Ihres Kindes! Zu einigen Themen ist außerdem bereits unser Shop mit unseren kinderleichten „Spalten Falten“-Übungen bestückt, weitere folgen in den nächsten Tagen.

Vorschlag 4: Trainieren Sie Feinmotorik und Handschrift Ihres Kindes

Viele Kinder haben Probleme mit der Handschrift, sei es im Vorschulalter, wo wichtige feinmotorische Übung fehlt, oder im Schulalter, sogar als ältere Schüler. Wenn Ihr Kind in den nächsten Wochen zuhause festsitzt, gibt es eine Menge Zeit zu füllen, und angesichts der Besuchsverbote in Altenheimen und Krankenhäusern freuen sich bestimmt viele ältere Menschen über einen netten Briefgruß. Vielleicht wollen Sie ja sogar in der Nachbarschaft eine kleine Initiative starten, mit den Kindern hübsche Karten an die Bewohner des örtlichen Altenheims zu schicken? Die folgenden Ideen helfen gegen Langeweile und fördern zugleich die Handschrift:

  1. Wie wäre es mit grundlegenden Zeichenübungen? Viele Kinder haben heute Probleme mit der Formauffassung und dem gekonnten Zeichnen einfacher Figuren, und sie sind sehr stolz, wenn nach etwas Übung der Löwe endlich aussieht wie ein richtiger Löwe. Für Kindergartenkinder und Grundschüler bietet sich die Reihe „Für kleine Zeichner“ an, für Ältere eine anspruchsvollere Zeichenschule.
  2. Vorschulkinder könnten in den nächsten Wochen unser buchstabenfreies Schreiblernheft bearbeiten und mit ein wenig Eifer in den kommenden 5 Wochen sogar komplett damit fertig werden.
  3. Ältere Schüler können sich durch den Trend „Handlettering“ neu für Schönschrift begeistern. Ein Buch mit Vorlagen und ein paar gute Stifte dazu steigern die Wertschätzung schöner Schrift und bieten eine sinnvolle Beschäftigung für die nächsten Wochen.
  4. Natürlich schadet es auch nichts, einen Schreibschriftlehrgang noch einmal zu durchlaufen und an einer sauberen Ausführung der Buchstaben und Buchstabenverbindungen zu arbeiten. Briefe oder Karten, deren Vorderseite ein schöner Spruch in Handlettering ziert und deren Rückseite in gut lesbarer Schrift einen netten Gruß an Oma und Opa enthalten, kämen sicher gut an.

Wir hoffen, unsere Vorschläge helfen Ihnen bei der sinnvollen Gestaltung der nächsten Wochen! Bleiben Sie gesund und bedenken Sie bei aller Vorsorge den guten Rat von Heinrich Hanselmann, dem Großvater der Heilpädagogik:

Angst der Eltern.

„Jedes Kind ist dauernd in Lebensgefahr. Es kann erkranken, verunfallen, ohne dass es möglich wäre, alle Gefahren auszuschließen. Alle Elternfreude muss durch den Engpass des Elternleidens am Kinde gehen. Die bewusst errungene Harmlosigkeit der Eltern ist größte Wohltat am Kinde.

Heinrich Hanselmann, Eltern-Lexikon, Zürich 1956
Artikel „Angst der Eltern“, S. 31.

„Bewusst errungen” ist nicht das selbe wie sorglose Vernachlässigung oder Desinteresse. Es ist ein Ergebnis der elterlichen Selbsterziehung, des Versuchs, mit den eigenen Ängsten konstruktiv und realistisch umzugehen