Im Januar letzten Jahres berichteten wir über zwei vielversprechende Pilotstudien zu der Frage, ob das gleichzeitige Hören und Lesen eines Textes (z.B. mittels Hörbuch) die Leseflüssigkeit verbessert. Prof. Jürgen Walter von der Europa-Universität in Flensburg hatte diese sog. „Reading-While-Listening“-Methode erstmals untersucht. Die am Training teilnehmenden Schüler lasen drei Mal ein und denselben Text halblaut, während ihnen gleichzeitig derselbe Text über Kopfhörer mittels Hörbuch oder von einem Lesepartner vorgelesen wurde.

Nun legt Walter weitere Forschungsergebnisse aus zwei Studien vor, in denen diese Methode mit Grundschülern erprobt wurde. Abgesehen von kleineren Veränderungen entspricht das eingesetzte Trainingsprogramm dem aus den Pilotstudien von 2017. Wöchentlich finden zwei 45minütige (Studie 1) oder 25 minütige (Studie 2) Förderstunden statt. Aufgrund der geringen Konzentrationsfähigkeit der Grundschüler wurde in Studie 2 die Dauer der Sitzungen auf 25 Minuten reduziert. Die insgesamt 21 Förderstunden verteilen sich auf

  • eine Einführungsphase mit drei Stunden, in der das Programm vorgestellt wird und der immer gleiche Ablauf einer Fördereinheit sowie die Benutzung der MP3-Player geübt wird,
  • der Durchführungsphase mit 17 Sitzungen, in denen die Texte gelesen werden
  • und der einstündigen Abschlussphase, die zur Reflexion genutzt wird.

Im Gegensatz zu den Pilotstudien wurden diesmal keine inhaltlich unabhängigen Einzeltexte gelesen, sondern eine zusammenhängende Geschichte. Hierdurch sollte ein Spannungsbogen erzeugt werden, um die Neugier und Motivation der Schüler über den gesamten Trainingszeitraum aufrechtzuerhalten. In Studie 1 wurden die Bücher „Die Vulkanos pupsen los“ und „Die Vulkanos sind bombig“ von Gehm gelesen und in Studie 2 „Ein Sams für Martin Taschenbier“ von Paul Maar. Weiterhin abweichend von den Pilotstudien wurden Arbeitsblätter erstellt, die die Schüler im Anschluss an die Lesephase bearbeiteten. Damit sollte die Identifikation mit dem Text gesteigert und die Trainingsstunden abwechslungsreicher gestaltet werden. Ein Arbeitsblatt stellte die Aufgabe, schwer zu erlesende Stolperwörter im Text zu markieren und aufzuschreiben; ein weiteres bestand in der Regel aus einer Übung, bei der Silben zu Wörtern zusammengesetzt werden sollten. Durch die Arbeitsblätter setzten sich die Schüler auf vielfältige Weise erneut mit dem Text und dem Inhalt des Gelesenen auseinander.

Analog zu den Pilotstudien wurden Leseregeln aufgestellt, deren Einhaltung durch operante Verstärkung sichergestellt werden sollte:

  1. Ich bin leise und arbeite auf meinem Arbeitsplatz.
  2. Ich benutze den Lesefinger.
  3. Ich lese den Text drei Mal halblaut.
  4. Ich bearbeite das Arbeitsblatt.

Ein Handbuch mit genauer Beschreibung der Vorgehensweise können Sie über den folgenden Link kostenlos herunterladen: Cohrs, M. und Neumann, S. (2017): Lesetraining mit den Vulkanos. Ein Programm zur Förderung der Leseflüssigkeit von leseschwachen Dritt- und Viertklässlern basierend auf dem Reading-While-Listening-Konzept. Manual. Weiteres interessantes Material ist hier auf der Seite des Forschungsinstituts kostenlos zum Download erhältlich.

An der Untersuchung 1 nahmen 42 leseschwache Dritt- und Viertklässler teil und an der zweiten Untersuchung 30 aus Klassenstufe 3. In beiden Untersuchungen wurden die Schüler auf eine Experimental- und Wartekontrollgruppe aufgeteilt. Experimental- und Kontrollgruppe wurden hinsichtlich Alter, Geschlecht und Migrationshintergrund parallelisiert. Die Leseleistungen wurden bei allen teilnehmenden Kindern zu Beginn und am Ende des Trainings sowie 10 Wochen nach Abschluss der Förderung erfasst.

Fasst man die Ergebnisse beider Studien zusammen, errechnen sich für die Fördermethode ein starker kurzfristiger Effekt mit einer gemittelten Effektstärke von 1.1 und ein mittelstarker langfristiger Effekt mit einer gemittelten Effektstärke von 0.52. Berücksichtigt man weiterhin auch noch die Ergebnisse aus den beiden vorangegangenen Pilotstudien, so kann man mit Fug und Recht behaupten, dass leseschwache Grundschüler mit dem Reading-While-Listening-Konzept erfolgreich gefördert werden können. Dabei stellt sich nicht nur eine Verbesserung der Leseflüssigkeit ein, sondern es lässt sich auch ein Transfer auf basale Leseverstehensprozesse erreichen.

Die das Förderprogramm abschließenden Schülerbefragungen verweisen auf eine hohe Akzeptanz des Arbeitens mit Hörbüchern. Die Leseförderung machte allen Spaß und das Lesen mit den Hörbüchern war auch der überwiegenden Mehrheit (82 Prozent) nicht zu anstrengend. Unabhängig davon ist jedoch beim Einsatz der Reading-While-Listening-Methode darauf zu achten, dass eine gewisse Mindest-Dekodierfähigkeit bei den Schulkindern vorhanden ist. Obwohl das Hörbuch in zwei verschiedenen Lesegeschwindigkeiten angeboten wurde, gab in Untersuchung 1 etwa ein Viertel der Schüler an, dass die Stimme auf dem MP3-Player zu schnell bzw. zu langsam gelesen hat. Beides könnte das Lernen hemmen. In Untersuchung 2 wurd diese Problematik nicht beobachtet.

Hierzu sei angemerkt: Durch Verwendung besserer Technologien wäre dieses Problem aus der Welt zu schaffen. Amazons Dienst Audible z.B. bietet eine sehr kleinschritte Geschwindigkeitsregelung an, die Standardgeschwindigkeit wird mit 1,00 angegeben und ist in Schritten von 0,05 Punkten veränderbar.

Literatur:

Walter, J. (2017): Effektivität der Förderung der Leseflüssigkeit mithilfe von Hörbüchern bei Grundschülern. Zwei Pilotstudien. In: Zeitschrift für Heilpädagogik, 68, S. 104-123

Walter, J. (2018): Zur Effektivität der Förderung der Leseflüssigkeit auf der Basis von Hörbüchern in Kombination mit wiederholtem Lesen: Weitere Evidenz. In: Empirische Sonderpädagogik, Nr. 3, S. 248-272